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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0098
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Stellenkommentar Erstes Buch, KSA 3, S. 19-20 83

wie „Männlichkeit oder Weiblichkeit der Sonne", um auch moralische Wertun-
gen als vorurteilshaft in Frage zu stellen. Der Leitspruch „Alles hat seine
Zeit" spielt auf das biblische Buch Prediger an: „Alles hat seine Zeit. Für jedes
Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit: eine Zeit zum Gebo-
renwerden und eine Zeit zum Sterben, eine Zeit zum Pflanzen und eine Zeit
zum Ausrotten des Gepflanzten, eine Zeit zum Würgen und eine Zeit zum Hei-
len, eine Zeit zum Niederreißen und eine Zeit zum Bauen." (Kohelet 3, 1 ff.)
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20, 6 f. Gegen die erträumte Disharmonie der Sphären.] N. kehrt
hier paradox die ursprünglich aus dem Pythagoreismus stammende Vorstel-
lung von der Sphärenharmonie um. In dieser verband sich die „Grossartigkeit"
nicht mit der „Disharmonie", sondern im Gegenteil mit der Harmonie der Sphä-
ren, die dem kosmologischen Denken der Griechen entsprach. Aristoteles hatte
in seiner Schrift Über den Himmel (περί ούρανοϋ) über die Kosmologie der Py-
thagoreer und ihre Lehre von der Sphärenharmonie geschrieben: „Es scheint
nämlich einigen Denkern eine notwendige Folge zu sein, daß infolge der Bewe-
gungen so gewaltiger Körper [der Gestirne] ein Geräusch entsteht. Denn das ist
ja schon bei Körpern hier auf Erden der Fall, die doch weder das gleiche Volu-
men haben noch sich mit solcher Schnelligkeit bewegen. Wo sich aber Sonne
und Mond, ferner eine solche Menge so gewaltiger Gestirne mit solch rasender
Geschwindigkeit bewegten, da müsse unbedingt ein Geräusch von einer über
alle Begriffe gehenden Stärke verursacht werden. Das nehmen sie an und eben-
so, daß die Schnelligkeit infolge der [verschiedenen] Entfernungen [der Gestir-
ne vom Mittelpunkt des Kosmos] den Zahlenverhältnissen der musikalischen
Harmonie entspreche. Daher behaupten sie, daß durch den Kreislauf der Ge-
stirne eine musikalische Harmonie von Tönen verursacht wird" (Über den Him-
mel II 9, 290 b).
Für den Traditionsprozess, der im „Prolog" zu Goethes Faust einen späten
Höhepunkt erreichte, war Ciceros Darstellung der Sphärenharmonie am Ende
seiner Schrift Vom Staat (De re publica) von besonderer Bedeutung. Zwar wur-
de Ciceros Schrift erst im Jahre 1820 entdeckt, aber die Partie über die Sphären-
harmonie, Der Traum des Scipio (somnium Scipionis), die schon in der Antike
als hervorragende Prosadichtung galt, war von dem spätantiken Autor Macro-
bius gesondert tradiert und kommentiert worden. Der Text übte bis in die Neu-
zeit eine immense Wirkung aus. Allerdings geriet durch die astronomischen
Beobachtungen Tycho Brahes im Jahre 1572/73 die altertümliche Theorie von
den Himmelssphären ins Wanken. Seit der Antike hatte man sie sich als rotie-
rende Kristallsphären in Form von Kugelschalen vorgestellt, an denen die Pla-
 
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