124 Morgenröthe
aus sich die Möglichkeit einer „Umwertung aller Werte" ergibt. Allerdings er-
scheint diese Möglichkeit als eine bloß theoretische, wenn Wertschätzungen
in Form von Gefühlen „vererbt", also genealogisch fixiert sind. Den Begriff
„Werthschätzung", der später in M 104, M 105 und M 534 weiter erörtert wird,
konnte N. insbesondere in dem von ihm während der Arbeit an der Morgenrö-
the intensiv benutzten Handbuch der Moral von Johann Julius Baumann finden
(NPB). Dieser sieht die „Werthschätzungen" aus „Werthgefühlen" hervorgehen
und führt letztere - damit auch die ,Moral' - auf die positive psychophysische
Erfahrung einer „Steigerung der Kraft" zurück. Dem entsprechen die in der
Morgenröthe immer wieder thematisierten und schließlich zum „Willen zur
Macht" überleitenden „Gefühle der Macht", da N. ausdrücklich „Kraft" und
„Macht" korreliert. Baumann schreibt: „Alle Werthgefühle überhaupt sind ein
Bewusstsein von Erhöhung des Lebens, von Steigerung der Kraft, sei es des
sinnlichen Lebens, des intellectuellen, ästhetischen, sittlichen [...] Diese Kraft-
Bethätigung und -Steigerung erklärt das Verweilen und Versenken bei den
Werthgefühlen" (Baumann 1879, 60 f.). Den Terminus „Werthgefühl" über-
nimmt N. in M 148. Später führt N. die Subjektivierung der „Werthschätzun-
gen" unter dem Aspekt der „Bedürfnisse" fort. In einem nachgelassenen Notat
aus dem Jahr 1885 heißt es: „die Werthschätzungen aber sind die Folge unserer
innersten Bedürfnisse. - / Dies ist gesagt, um zu erklären, warum es schwer
ist, solche Schriften wie die meinigen zu verstehen: die inneren Erlebnisse,
Werthschätzungen und Bedürfnisse sind bei mir anders" (34[86], KSA 11, 448,
19-23).
36
44, 9 f. Eine Narrheit der Pietät mit Hintergedanken.] In der Vor-
stufe zu diesem Text heißt es: „Wie! Die Erfinder der ersten Barke, die ersten
Astronomen seien unvergleichlich mehr als unsere Erfinder? Umgekehrt!
Ehemals wirkte der Zufall mehr noch als jetzt!" (KSA 14, 205)
37
44, 26 Falsche Schlüsse aus der Nützlichkeit.] Der „Nützlichkeit"
und den mit ihrer Wertung zusammenhängenden Problemen gilt immer wieder
N.s Interesse, besonders aufgrund der seit John Stuart Mills Utilitarianism po-
pulär gewordenen Verbindung des Nutzens mit der Moral. Im vorliegenden
Text problematisiert N. das physikotheologische Konzept, das im Aufklärungs-
denken des 18. Jahrhunderts verbreitet war. Es schloss aus der „Nützlichkeit"
aus sich die Möglichkeit einer „Umwertung aller Werte" ergibt. Allerdings er-
scheint diese Möglichkeit als eine bloß theoretische, wenn Wertschätzungen
in Form von Gefühlen „vererbt", also genealogisch fixiert sind. Den Begriff
„Werthschätzung", der später in M 104, M 105 und M 534 weiter erörtert wird,
konnte N. insbesondere in dem von ihm während der Arbeit an der Morgenrö-
the intensiv benutzten Handbuch der Moral von Johann Julius Baumann finden
(NPB). Dieser sieht die „Werthschätzungen" aus „Werthgefühlen" hervorgehen
und führt letztere - damit auch die ,Moral' - auf die positive psychophysische
Erfahrung einer „Steigerung der Kraft" zurück. Dem entsprechen die in der
Morgenröthe immer wieder thematisierten und schließlich zum „Willen zur
Macht" überleitenden „Gefühle der Macht", da N. ausdrücklich „Kraft" und
„Macht" korreliert. Baumann schreibt: „Alle Werthgefühle überhaupt sind ein
Bewusstsein von Erhöhung des Lebens, von Steigerung der Kraft, sei es des
sinnlichen Lebens, des intellectuellen, ästhetischen, sittlichen [...] Diese Kraft-
Bethätigung und -Steigerung erklärt das Verweilen und Versenken bei den
Werthgefühlen" (Baumann 1879, 60 f.). Den Terminus „Werthgefühl" über-
nimmt N. in M 148. Später führt N. die Subjektivierung der „Werthschätzun-
gen" unter dem Aspekt der „Bedürfnisse" fort. In einem nachgelassenen Notat
aus dem Jahr 1885 heißt es: „die Werthschätzungen aber sind die Folge unserer
innersten Bedürfnisse. - / Dies ist gesagt, um zu erklären, warum es schwer
ist, solche Schriften wie die meinigen zu verstehen: die inneren Erlebnisse,
Werthschätzungen und Bedürfnisse sind bei mir anders" (34[86], KSA 11, 448,
19-23).
36
44, 9 f. Eine Narrheit der Pietät mit Hintergedanken.] In der Vor-
stufe zu diesem Text heißt es: „Wie! Die Erfinder der ersten Barke, die ersten
Astronomen seien unvergleichlich mehr als unsere Erfinder? Umgekehrt!
Ehemals wirkte der Zufall mehr noch als jetzt!" (KSA 14, 205)
37
44, 26 Falsche Schlüsse aus der Nützlichkeit.] Der „Nützlichkeit"
und den mit ihrer Wertung zusammenhängenden Problemen gilt immer wieder
N.s Interesse, besonders aufgrund der seit John Stuart Mills Utilitarianism po-
pulär gewordenen Verbindung des Nutzens mit der Moral. Im vorliegenden
Text problematisiert N. das physikotheologische Konzept, das im Aufklärungs-
denken des 18. Jahrhunderts verbreitet war. Es schloss aus der „Nützlichkeit"