198 Morgenröthe
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110, 2 Im Gefängniss.] Während Μ 115 und Μ 116 in ethischer Hinsicht die
Autonomie des „Subjects" in Frage stellen, um dessen moralische Zurech-
nungsfähigkeit und Verantwortlichkeit zu bestreiten, erscheint hier in erkennt-
nistheoretischer Hinsicht das Subjekt in problematischem Maße als autonom:
so sehr, dass es nicht aus dem „Gefängniss" seiner physiologisch - durch die
„Sinne" (110, 27) - bedingten Wahrnehmungs- und Empfindungsbeschrän-
kung „in die wirkliche Welt" (110, 31) hinausfinden kann (vgl. 109, 11-
13). In dem von N. intensiv durchgearbeiteten Werk von Otto Liebmann: Zur
Analysis der Wirklichkeit. Eine Erörterung der Grundproblematik der Philosophie
(Zweite Auflage, 1880) hatte er folgenden - auf Kants Unterscheidung zwi-
schen Ding an sich und Erscheinung zurückgehenden - Passus mit Unterstrei-
chungen und der zustimmenden Randnotiz „Ecco!" versehen: „Schließlich
käme dann noch als hinkender Bote die verschwiegene Grundwahrheit zum
Vorschein, daß bei allen unsren empirischen Erkenntnissen und wissenschaft-
lichen Theorieen bereits das menschliche Bewußtsein mit seinem sinnlichen
Anschauungs- und logischen Verstandesapparat vorausgesetzt ist, und daß wir
auf keine Weise Sicherheit über Das zu gewinnen im Stande sind, was eigent-
lich hinter der in diesem Anschauungs- und Verstandesapparat gesetzlich
entspringenden Bilder- und Gedankenwelt stecken mag. Es ist gut, wenn man
sich zuweilen Rechenschaft davon ablegt, daß es außer den bereits erstiege-
nen, noch unerstiegene, vielleicht unersteigbare Stufen, ohne Zweifel aber ab-
solute Grenzen menschlicher Erkenntniß gibt. Das schützt vor bornirtem Dün-
kel" (Liebmann 1880, 364).
In anderen Texten N.s gewinnt die Vorstellung, die er hier mit der Meta-
pher des „Gefängnisses" meint, den weiteren, die Reichweite des Denkens und
der Philosophie grundsätzlich betreffenden Sinn einer unaufhebbaren Befan-
genheit in den notwendigerweise schematisierten Formen der Sprache und des
Denkens. Der „Horizont"-Begriff hat nun eine ganz andere Bedeutung im Ver-
hältnis zu derjenigen, die er noch in UB II: Vom Nutzen und Nachtheil der Histo-
rie für das Leben hat.
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111, 2 Was ist denn der Nächste!] Im übergeordneten Horizont der Mo-
ralkritik, in den auch die Auseinandersetzung mit dem Altruismus und dem
christlichen Gebot der Nächstenliebe gehört, steht dieser Text nur insofern,
als er das Verhältnis zum „Nächsten" erkenntnistheoretisch problematisiert. N.
orientierte sich hierfür an Alfons Bilharz: Der heliocentrische Standpunct der
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110, 2 Im Gefängniss.] Während Μ 115 und Μ 116 in ethischer Hinsicht die
Autonomie des „Subjects" in Frage stellen, um dessen moralische Zurech-
nungsfähigkeit und Verantwortlichkeit zu bestreiten, erscheint hier in erkennt-
nistheoretischer Hinsicht das Subjekt in problematischem Maße als autonom:
so sehr, dass es nicht aus dem „Gefängniss" seiner physiologisch - durch die
„Sinne" (110, 27) - bedingten Wahrnehmungs- und Empfindungsbeschrän-
kung „in die wirkliche Welt" (110, 31) hinausfinden kann (vgl. 109, 11-
13). In dem von N. intensiv durchgearbeiteten Werk von Otto Liebmann: Zur
Analysis der Wirklichkeit. Eine Erörterung der Grundproblematik der Philosophie
(Zweite Auflage, 1880) hatte er folgenden - auf Kants Unterscheidung zwi-
schen Ding an sich und Erscheinung zurückgehenden - Passus mit Unterstrei-
chungen und der zustimmenden Randnotiz „Ecco!" versehen: „Schließlich
käme dann noch als hinkender Bote die verschwiegene Grundwahrheit zum
Vorschein, daß bei allen unsren empirischen Erkenntnissen und wissenschaft-
lichen Theorieen bereits das menschliche Bewußtsein mit seinem sinnlichen
Anschauungs- und logischen Verstandesapparat vorausgesetzt ist, und daß wir
auf keine Weise Sicherheit über Das zu gewinnen im Stande sind, was eigent-
lich hinter der in diesem Anschauungs- und Verstandesapparat gesetzlich
entspringenden Bilder- und Gedankenwelt stecken mag. Es ist gut, wenn man
sich zuweilen Rechenschaft davon ablegt, daß es außer den bereits erstiege-
nen, noch unerstiegene, vielleicht unersteigbare Stufen, ohne Zweifel aber ab-
solute Grenzen menschlicher Erkenntniß gibt. Das schützt vor bornirtem Dün-
kel" (Liebmann 1880, 364).
In anderen Texten N.s gewinnt die Vorstellung, die er hier mit der Meta-
pher des „Gefängnisses" meint, den weiteren, die Reichweite des Denkens und
der Philosophie grundsätzlich betreffenden Sinn einer unaufhebbaren Befan-
genheit in den notwendigerweise schematisierten Formen der Sprache und des
Denkens. Der „Horizont"-Begriff hat nun eine ganz andere Bedeutung im Ver-
hältnis zu derjenigen, die er noch in UB II: Vom Nutzen und Nachtheil der Histo-
rie für das Leben hat.
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111, 2 Was ist denn der Nächste!] Im übergeordneten Horizont der Mo-
ralkritik, in den auch die Auseinandersetzung mit dem Altruismus und dem
christlichen Gebot der Nächstenliebe gehört, steht dieser Text nur insofern,
als er das Verhältnis zum „Nächsten" erkenntnistheoretisch problematisiert. N.
orientierte sich hierfür an Alfons Bilharz: Der heliocentrische Standpunct der