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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0214
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Stellenkommentar Zweites Buch, KSA 3, S. 110-115 199

Weltbetrachtung. Grundlegungen zu einer wirklichen Naturphilosophie (1879). Er
erwarb dieses Werk für seine persönliche Bibliothek und studierte es intensiv,
wie zahlreiche Lesespuren zeigen. Eine ganze Reihe von nachgelassenen Nota-
ten aus dem Jahr 1880 lassen Reflexe der Bilharz-Lektüre erkennen, ebenso
schon Μ 117. In Μ 118 gehören zu den terminologischen Übernahmen Vorstel-
lungen wie die vom „hohlen geformten Raume", von der „umgekehrten Positi-
vität" und der „umgestülpten" Welt. Nachweise: Riccardi 2007, 367-381.
119
111, 17 Erleben und Erdichten.] Die von Goethes Autobiographie Dichtung
und Wahrheit nahegelegte Reflexion darauf, dass die eigene Wahrnehmung des
Erlebten, ja des Erlebens immer schon Fiktionales, Dichterisches mit sich
bringt, transformiert N. hier im Sinne der von ihm auch sonst adaptierten natu-
ralistisch-„physiologischen" (113, 28) Betrachtungsweise. Durchgehend ist die
Rede von „Trieben", „Nervenreizen", ja von der Wirkung der „Ernährung"
(111, 23 f.) und den „Bewegungen des Blutes und der Eingeweide" (113, 5). Der-
artige Erklärungen fand N. in dem von ihm intensiv herangezogenen Handbuch
der Moral von Johann Julius Baumann (1879), das programmatisch die „physio-
logische Psychologie" zur Grundlage eines antiidealistisch ausgerichteten Ver-
ständnisses von ,Moral' macht. Die „Triebe" und physiologische Erklärungs-
muster sind schon ein großes Thema für Schopenhauer, von dem es N. bereits
im ersten Kapitel seiner Geburt der Tragödie übernimmt, insbesondere im Hin-
blick auf die hier erneut aufgegriffene Physiologie des „Traumes". Vgl. die
Quellen zu N.s Traumtheorie in NK 1/1, 26, 21-24. Die physiologische Rückfüh-
rung von Bewusstseinsvorgängen, „Interpretationen", „Bildern" und Wert-
schätzungen speziell auf „Nervenreize", die unbewusst bleiben (113, 26-32),
ist in der mehr oder weniger populärwissenschaftlichen Literatur seiner Zeit
weitverbreitet. N. greift im Wesentlichen auf die Ausführungen in seiner nach-
gelassenen frühen Schrift Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne
zurück. Dort heißt es: „Was ist ein Wort? Die Abbildung eines Nervenreizes in
Lauten" (KSA 1, 878, 21 f.) und: „Ein Nervenreiz zuerst übertragen in ein Bild!
erste Metapher. Das Bild wieder nachgeformt in einem Laut! Zweite Metapher.
Und jedesmal vollständiges Ueberspringen der Sphäre, mitten hinein in eine
ganz andere und neue" (KSA 1, 879, 10-13).

120
115, 2 Zur Beruhigung des Skeptikers.] N. problematisiert nochmals
das „Subject" (vgl. Μ 116) im Hinblick auf das Handeln und die „That", um
 
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