510 Idyllen aus Messina
seine scherzhaften Lieder in anakreontischer Manier einem Publikum von
„schönen Vögelchen" präsentiert.
Die kleine Brigg, genannt „das Engelchen".
Bei diesem Gedicht mit stark ironischen Zügen, das N. bereits unter dem Titel
Lied von der kleinen Brigg genannt „Das Engelchen" am 15. März 1882 aus Genua
an Köselitz schickte (vgl. KSB 6/KGB ΙΙΙ/1, Nr. 209, S. 178 f., Z. 25-66), handelt
es sich um ein Rollen-Gedicht, dessen Eigentümlichkeit darin besteht, dass das
lyrische Ich ein Schiff ist, das sich zugleich als Mädchen zu erkennen gibt.
Genauer gesagt: ein Schiff, das in der Fiktion des Textes einstmals ein Mäd-
chen gewesen ist und noch immer ,weibliche' Züge aufweist. Das sprechende
Schiff-Ich charakterisiert sich in den ersten drei Strophen als „ein Mädchen"
(336, 8), da sich sein „feines Steuerrädchen" stets „um Liebe" drehe (336, 10 f.),
und erzählt anschließend, in den Strophen 5-7, seine Vorgeschichte: Einst sei
es ein ,wirkliches' Mädchen gewesen, das durch „ein bitterböses Wörtchen"
(337, 2) seinen Geliebten getötet hat, woraufhin es sich selbst das Leben nahm.
Anschließend habe eine ,Seelenwanderung' stattgefunden, seine „Seele" sei
„in dies Schiffchen" (337, 12-14) übergegangen.
Hinsichtlich der lyrischen Fiktion eines sprechenden Schiff-Ichs weist Die
kleine Brigg, genannt „das Engelchen" eine markante Gemeinsamkeit mit dem
1871 entstandenen Langgedicht Le Bateau ivre (Das trunkene Schiff) des franzö-
sischen Lyrikers Arthur Rimbaud auf. Allerdings kann als gewiss gelten, dass
N. diesen Text nicht kannte, da Rimbauds Werke zunächst nur im engsten
Kreis seiner Freunde bekannt waren und eine breitere Rezeption überhaupt
erst nach dem Tod des Dichters (1891) einsetzte, als N. bereits geistig umnach-
tet war. Von der surrealistischen ,Selbstbeschreibung' einer entgrenzten
Schiffsfahrt in Rimbauds Text ist N.s ironisches Gedicht ohnehin weit entfernt.
In ihm transportiert der Autor vielmehr seine stereotype Auffassung ,des Weib-
lichen'. Ausführlichere Interpretationen bieten Grundlehner 1986, 88-98,
Sharma 2006, 59-70, Braun 2007, 217-231.
Die von N. für dieses Gedicht gewählte fünfzeilige Strophenform ergibt
sich - durch eine Verdopplung der zweiten Verszeile - aus der vergleichsweise
selten vorkommenden vierzeiligen Form mit auftaktlosen Vierhebern und
männlich/weiblich alternierenden Kadenzen, die bereits in der geistlichen
Lieddichtung des 17. Jahrhunderts bezeugt ist, aber erst in der galanten Poesie
und der Anakreontik bekannter wurde, bevor sie dann seit der Romantik volks-
tümlich-stimmungshafte Ausdrucksmöglichkeiten vor allem in der Naturlyrik
gewann. Mit der für diese Form typischen „Gestaltung wehmütiger, sehnender
seine scherzhaften Lieder in anakreontischer Manier einem Publikum von
„schönen Vögelchen" präsentiert.
Die kleine Brigg, genannt „das Engelchen".
Bei diesem Gedicht mit stark ironischen Zügen, das N. bereits unter dem Titel
Lied von der kleinen Brigg genannt „Das Engelchen" am 15. März 1882 aus Genua
an Köselitz schickte (vgl. KSB 6/KGB ΙΙΙ/1, Nr. 209, S. 178 f., Z. 25-66), handelt
es sich um ein Rollen-Gedicht, dessen Eigentümlichkeit darin besteht, dass das
lyrische Ich ein Schiff ist, das sich zugleich als Mädchen zu erkennen gibt.
Genauer gesagt: ein Schiff, das in der Fiktion des Textes einstmals ein Mäd-
chen gewesen ist und noch immer ,weibliche' Züge aufweist. Das sprechende
Schiff-Ich charakterisiert sich in den ersten drei Strophen als „ein Mädchen"
(336, 8), da sich sein „feines Steuerrädchen" stets „um Liebe" drehe (336, 10 f.),
und erzählt anschließend, in den Strophen 5-7, seine Vorgeschichte: Einst sei
es ein ,wirkliches' Mädchen gewesen, das durch „ein bitterböses Wörtchen"
(337, 2) seinen Geliebten getötet hat, woraufhin es sich selbst das Leben nahm.
Anschließend habe eine ,Seelenwanderung' stattgefunden, seine „Seele" sei
„in dies Schiffchen" (337, 12-14) übergegangen.
Hinsichtlich der lyrischen Fiktion eines sprechenden Schiff-Ichs weist Die
kleine Brigg, genannt „das Engelchen" eine markante Gemeinsamkeit mit dem
1871 entstandenen Langgedicht Le Bateau ivre (Das trunkene Schiff) des franzö-
sischen Lyrikers Arthur Rimbaud auf. Allerdings kann als gewiss gelten, dass
N. diesen Text nicht kannte, da Rimbauds Werke zunächst nur im engsten
Kreis seiner Freunde bekannt waren und eine breitere Rezeption überhaupt
erst nach dem Tod des Dichters (1891) einsetzte, als N. bereits geistig umnach-
tet war. Von der surrealistischen ,Selbstbeschreibung' einer entgrenzten
Schiffsfahrt in Rimbauds Text ist N.s ironisches Gedicht ohnehin weit entfernt.
In ihm transportiert der Autor vielmehr seine stereotype Auffassung ,des Weib-
lichen'. Ausführlichere Interpretationen bieten Grundlehner 1986, 88-98,
Sharma 2006, 59-70, Braun 2007, 217-231.
Die von N. für dieses Gedicht gewählte fünfzeilige Strophenform ergibt
sich - durch eine Verdopplung der zweiten Verszeile - aus der vergleichsweise
selten vorkommenden vierzeiligen Form mit auftaktlosen Vierhebern und
männlich/weiblich alternierenden Kadenzen, die bereits in der geistlichen
Lieddichtung des 17. Jahrhunderts bezeugt ist, aber erst in der galanten Poesie
und der Anakreontik bekannter wurde, bevor sie dann seit der Romantik volks-
tümlich-stimmungshafte Ausdrucksmöglichkeiten vor allem in der Naturlyrik
gewann. Mit der für diese Form typischen „Gestaltung wehmütiger, sehnender