248 Morgenröthe
gar mit dem Zusatz: „so laufe der alte Irrthum (error veritate simplicior - [der
Irrtum ist einfacher als die Wahrheit]) seinen alten Weg!" (151, 19-22)
169
151, 24 Das Griechische uns sehr fremd.] Dieser Text ist vom Ende her
perspektiviert, wo N. von der „Musik" der Gegenwart spricht: von derjenigen
Wagners. Die zu Beginn exponierte Charakterisierung: „die Massenhaftigkeit"
und „der Genuss an der grossen Quantität als der Sprache des Erhabenen" (151,
26 f.) orientiert sich ebenfalls schon an Wagner, der mit seinen spätromantisch
ausladenden Opern, der ,unendlichen Melodie' und dem Einsatz aller szeni-
schen Mittel den Eindruck des Massenhaften hervorrief. Die „Sprache des Erha-
benen" (151, 27) hatte N. in seiner ganz auf Wagner hin konzipierten Geburt
der Tragödie als besonderes Charakteristikum von dessen Kompositionen be-
tont. In der vierten der Unzeitgemäßen Betrachtungen: Richard Wagner in Bay-
reuth heißt es über Wagner, dass er „mehr als irgend ein anderer im Erhabenen
und im Ueber-Erhabenen allein frei athmen kann" (KSA 1, 441, 28 f.). Der „Fort-
schritt, welchen die Musik durch Beethoven gethan hat", so Wagner selbst in
seiner Festschrift zu Beethovens hundertstem Geburtstag 1870, reiche „über
das Gebiet des ästhetisch Schönen in die Sphäre des durchaus [d.h. in der
alten Wortbedeutung: ganz] Erhabenen" (GSD IX, 102). Er erklärt die „Katego-
rie des Erhabenen" und die „Wirkung des Erhabenen" sogar zum Maßstab von
Musik überhaupt (GSD IX, 78). Zur langen Tradition der Ästhetik des Erhabe-
nen vgl. den Überblickskommentar zur Geburt der Tragödie. In der Morgenröthe
rückt N. auch an anderen Stellen vom Kult des Erhabenen und des mit diesem
eng verbundenen Pathetischen ab. Vgl. Μ 33. Später, in einer Nachlassnotiz
des Jahres 1885 spricht er im Hinblick auf Wagner von „Ausschweifungen des
Erhabenen" (37[15], KSA 11, 590, 30 f.). In der Spätschrift Der Fall Wagner end-
lich rechnet er mit Wagners und seiner eigenen früheren Vorliebe für das „Er-
habene" sarkastisch ab (KSA 6, 24, 3-17). Doch adaptiert er für seine eigenen
Intentionen auch in der Morgenröthe durchaus noch die Vorstellung des ,Erha-
benen' in positivem Sinn.
Nach einem seit langem etablierten Schema vergleichender Betrachtung
von Antike und Moderne - ein Paradebeispiel nach der Parallele des Anciens
et des Modernes ist Schillers Schrift Über naive und sentimentalische Dichtung,
die N. gut kannte - stellt er die Einfachheit der Griechen der geradezu labyrin-
thischen Kompliziertheit der Moderne gegenüber. „Wie einfach waren in Grie-
chenland die Menschen sich selber in ihrer Vorstellung!" ruft N. aus:
„Wie weit übertreffen wir sie in der Menschenkenntniss! Wie labyrinthisch aber
auch nehmen sich unsere Seelen und unsere Vorstellungen von den Seelen
gar mit dem Zusatz: „so laufe der alte Irrthum (error veritate simplicior - [der
Irrtum ist einfacher als die Wahrheit]) seinen alten Weg!" (151, 19-22)
169
151, 24 Das Griechische uns sehr fremd.] Dieser Text ist vom Ende her
perspektiviert, wo N. von der „Musik" der Gegenwart spricht: von derjenigen
Wagners. Die zu Beginn exponierte Charakterisierung: „die Massenhaftigkeit"
und „der Genuss an der grossen Quantität als der Sprache des Erhabenen" (151,
26 f.) orientiert sich ebenfalls schon an Wagner, der mit seinen spätromantisch
ausladenden Opern, der ,unendlichen Melodie' und dem Einsatz aller szeni-
schen Mittel den Eindruck des Massenhaften hervorrief. Die „Sprache des Erha-
benen" (151, 27) hatte N. in seiner ganz auf Wagner hin konzipierten Geburt
der Tragödie als besonderes Charakteristikum von dessen Kompositionen be-
tont. In der vierten der Unzeitgemäßen Betrachtungen: Richard Wagner in Bay-
reuth heißt es über Wagner, dass er „mehr als irgend ein anderer im Erhabenen
und im Ueber-Erhabenen allein frei athmen kann" (KSA 1, 441, 28 f.). Der „Fort-
schritt, welchen die Musik durch Beethoven gethan hat", so Wagner selbst in
seiner Festschrift zu Beethovens hundertstem Geburtstag 1870, reiche „über
das Gebiet des ästhetisch Schönen in die Sphäre des durchaus [d.h. in der
alten Wortbedeutung: ganz] Erhabenen" (GSD IX, 102). Er erklärt die „Katego-
rie des Erhabenen" und die „Wirkung des Erhabenen" sogar zum Maßstab von
Musik überhaupt (GSD IX, 78). Zur langen Tradition der Ästhetik des Erhabe-
nen vgl. den Überblickskommentar zur Geburt der Tragödie. In der Morgenröthe
rückt N. auch an anderen Stellen vom Kult des Erhabenen und des mit diesem
eng verbundenen Pathetischen ab. Vgl. Μ 33. Später, in einer Nachlassnotiz
des Jahres 1885 spricht er im Hinblick auf Wagner von „Ausschweifungen des
Erhabenen" (37[15], KSA 11, 590, 30 f.). In der Spätschrift Der Fall Wagner end-
lich rechnet er mit Wagners und seiner eigenen früheren Vorliebe für das „Er-
habene" sarkastisch ab (KSA 6, 24, 3-17). Doch adaptiert er für seine eigenen
Intentionen auch in der Morgenröthe durchaus noch die Vorstellung des ,Erha-
benen' in positivem Sinn.
Nach einem seit langem etablierten Schema vergleichender Betrachtung
von Antike und Moderne - ein Paradebeispiel nach der Parallele des Anciens
et des Modernes ist Schillers Schrift Über naive und sentimentalische Dichtung,
die N. gut kannte - stellt er die Einfachheit der Griechen der geradezu labyrin-
thischen Kompliziertheit der Moderne gegenüber. „Wie einfach waren in Grie-
chenland die Menschen sich selber in ihrer Vorstellung!" ruft N. aus:
„Wie weit übertreffen wir sie in der Menschenkenntniss! Wie labyrinthisch aber
auch nehmen sich unsere Seelen und unsere Vorstellungen von den Seelen