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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0391
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376 Morgenröthe

vita contemplativa und deshalb auch der Distanz zu aller ihn bedrängenden
Realität bedarf. Hier versteht er Einsamkeit auch als notwendige Distanzierung
von den „,Nächsten'" (269, 18) - mit der unvermeidlichen Konsequenz: „Wir
werden einsamer". Die Wasser-Metaphorik vom Ende des vorigen Textes stei-
gert er nunmehr zur Vorstellung der „Fluth" (269, 19). Auch in Μ 485 („Ferne
Perspectiven") reflektiert N. unter der Leitvorstellung der Ferne, d. h. der
notwendigen Distanz, die „Einsamkeit" (288, 2 f.). Vgl. auch NK Μ 448.
442
269, 25 Die Regel.] Das Verhältnis zu „Regel" und Ausnahme reflektiert N.
auch in der Fröhlichen Wissenschaft, dort am Ende von FW 55. Die Paradoxie
der Aussage in Μ 442, der zufolge dem Eingeweihten die Regel „interessanter"
erscheint als die Ausnahme, zielt auf die geistige Souveränität dessen, der
schon die „Regel" - im moralkritischen Kontext der Morgenröthe: den Glauben
an die Allgemeinverbindlichkeit ,moralischer' Vorstellungen - überwunden
hat und dem deshalb die Moral bereits zur interessanten' Kuriosität geworden
ist.

443
270, 2 Zur Erziehung.] Im Kontext der gehäuften Reflexionen auf „Einsam-
keit" (vgl. Μ 440, M 441, M 469, M 473, M 478, M 485, M 491, M 499, M 524, M
531) erörtert N. hier die „Erziehung" zur Einsamkeit, die er schon in M 177
(„Einsamkeit lernen") als Strategie gegen die betäubende und unproduk-
tiv machende Betriebsamkeit des nur noch dem „Augenblick" verfallenen mo-
dernen Lebens empfiehlt.
444
270, 7 Verwunderung über Widerstand.] Die Verwunderung über die
Diskrepanz zwischen theoretischer Erkenntnis und praktischem Können reflek-
tiert N. im Hinblick auf einen „Widerstand", der nur gleichnishaft verstanden
wird. Im heroischen Überwinder-Gestus und wiederum gleichnishaft verkündet
er später, in einem nachgelassenen Notat aus der Zarathustra-Zeit, ein Verhält-
nis zum „Widerstand" gegen ihn, der aus dem „schlechten Ruf" resultiert: „Ich
liebe das Brausen des schlechten Rufs: wie das Schiff den Widerspruch der
Welle gern hört, durch den sein Kiel sich bricht. Leichter ist mir mein Weg,
wenn um mich der Widerstand schäumt" (NL 1885, 13[3], KSA 10, 453).
 
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