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Schmidt, Jochen; Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,1): Kommentar zu Nietzsches "Morgenröthe" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.70911#0461
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446 Morgenröthe

penhauers Pessimismus; sekundär gilt die der Malerei entnommene Meta-
phorik einem künstlerischen Verfahren, das auf Kontraste setzen muss, um
nicht eintönig zu wirken. Auch die redensartliche Farbmetaphorik spielt he-
rein: „schwarz sehen" heißt: pessimistisch sein. Zur artistisch-kontrastiven In-
szenierung vgl. Μ 567.

562
327, 18 Die Sesshaften und die Freien.] Zur mythologischen Illustra-
tion der Wirkung von „freien Geistern", welche aus ihrer geistigen und religiö-
sen Herkunftswelt ausbrechen und diese damit verstört zurücklassen, wählt N.
die in Homers Odyssee erzählte Geschichte von Odysseus, der seine Heimat
verlässt, um in den Trojanischen Krieg zu ziehen. Seine Mutter Antikleia starb
aus Gram über die jahrelange Abwesenheit des Sohnes. Im elften Buch des
Epos steigt Odysseus in die Unterwelt hinab, in der nach griechischer Vorstel-
lung die Toten als „Schatten" ein trauriges Dasein fristen. Dort begegnet er
auch dem Schatten seiner Mutter, und es kommt zu einem von Trauer und
Liebe erfüllten Gespräch zwischen beiden (Odyssee, XI, V. 155-225). In N.s asso-
ziative Darstellung, die sich kaum mit der homerischen Szene berührt, wirkt
sein eigener biographischer Hintergrund herein: Er stammte aus einem protes-
tantischen Pfarrhaus, sodass seine Wendung zu einem radikalen Freigeister-
tum auch zu einer inneren Entfremdung von seiner Mutter führen und diese
mit Kummer erfüllen musste.

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328, 2 Der Wahn der sittlichen Weltordnung.] Diese in zeitgenössi-
schen Schriften ebenfalls schon kritisch hinterfragte Leitvorstellung, die N.
verschärfend in seiner Spätschrift Der Antichrist wiederaufgreift (vgl. NK 6/2,
194, 8-11 und zu 195, 10-19), richtet sich nicht ausschließlich, aber doch vor
allem gegen die jüdisch-christliche Moral. Sie beruht auf der Vorstellung der
göttlichen Einrichtung und Sanktionierung einer sittlichen Weltordnung mit
der Konsequenz von Sünde, Schuld, Strafe und Buße. Indem N. die Vorstellung
von einer solchen moralischen Weltordnung als „Wahn" bezeichnet, zielt er
auf die Unhaltbarkeit und Vorurteilshaftigkeit einer objektiven Begründung
von Moral. Darauf folgt die Abwehr einer subjektiv begründeten und am Begriff
der Schuld exemplifizierten Moralvorstellung (328, 6-7: „ebenso wie es ein
Wahn ist, dass Alles eine Schuld ist, was als solche gefühlt wird"). Mit
 
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