Überblickskommentar 45
des religiösen Glaubens (FW 347, FW 350, FW 351, FW 353) erstreckt, wobei
sich schnell zeigt, dass Gott wohl doch nicht gänzlich tot ist, insofern man in
Europa auch ,heute' noch Moral und Glauben nötig hat. Vielmehr greift dieser
Zweifel auch - und nicht zuletzt im Selbstbezug des ,wahrheitssuchenden'
sprechenden Wir - auf das Feld der Wissenschaft und Gelehrsamkeit aus, das
im weiteren Verlauf des Fünften Buchs ebenfalls bespielt wird (FW 344,
FW 348, FW 349, FW 366, FW 373, FW 381). In diesen Horizont gehören ferner
die Abschnitte über Bewusstsein, Erkenntnis und den perspektivischen Cha-
rakter des Daseins (intepretationsgeschichtlich besonders bedeutsam: FW 354,
FW 355, FW 374). Doch nicht nur als Wissenschaftler, Bewusstseinsforscher
und Erkenntnistheoretiker präsentieren sich die auktorialen Wir des Fünften
Buchs, sondern in einer Reprise des Zweiten Buchs überdies als Ästhetiker,
Künstler und Künstler- bzw. Wagner-Kritiker (FW 356, FW 361, FW 367-370,
FW 376, FW 379), wobei auch die benachbarte Geschlechterthematik nicht aus-
gespart bleibt (FW 361-363, FW 376) - ebensowenig fehlen Betrachtungen über
die vermeintliche Schauspieler-Natur der Juden (FW 361), die indes gleichfalls
als Logiker und damit als nötiges Korrektiv der unvernünftigen Deutschen in
den Blick kommen (FW 348). Zum Fünften Buch sind von der Forschung ver-
schiedene Gliederungsvorschläge unterbreitet worden; vgl. neben der Eintei-
lung in zehn ,Aphorismenketten' und sieben ,Solitäre' von Stegmaier 2012b
etwa die Unterscheidung von insgesamt lediglich „vier Gruppen mit jeweils
zehn Aphorismen und einem Epilogaphorismus" in Strobel 1998, 161.
Anders als zwischen FW Vorspiel und FW I hat N. zwischen FW V und FW
Anhang ein ,Scharnierstück' eingesetzt, das die Grenze zwischen Haupt- und
Paratext durchlässig macht: den Abschnitt FW 383, der zwar „Epilog" über-
schrieben ist, zugleich aber als ,Prolog' zum nachfolgenden lyrischen Zyklus
„Lieder des Prinzen Vogelfrei" interpretiert werden kann (vgl. Detering 2015,
154). Im Unterschied zum Fünften Buch stammt der Gedichtzyklus, durch des-
sen Hinzukommen die fünf ,Aphorismen'-Bücher von FW in der Neuausgabe
einen geschlossenen lyrischen Rahmen erhalten, nicht aus der Zeit nach JGB,
sondern N. integrierte hier überarbeitete Versionen von Gedichten, die bereits
zwischen Frühjahr 1882 und Herbst 1884 entstanden sind (vgl. NK FW An-
hang). Ungeachtet der unterschiedlichen Entstehungszeiträume der einzelnen
Texte von FW Anhang zeichnet sich sowohl auf formaler als auch auf inhaltli-
cher Ebene ein übergreifender Grundzug dieses abschließenden Gedichtzyklus
ab: die gegenüber dem sinnspruchhaft-epigrammatischen Stil des lyrischen
Vorspiels sich deutlich abhebende Liedhaftigkeit der Schluss-Gedichte sowie
eine grundsätzlich poetologisch dimensionierte (Selbst-)Ironie. N. schreibt zu
Beginn des Jahres 1887 in mehreren Briefen wortspielerisch, die neue Ausgabe
von FW laufe „zuletzt in lauter Lieder und Liederlichkeit aus[]" (an Elisabeth
des religiösen Glaubens (FW 347, FW 350, FW 351, FW 353) erstreckt, wobei
sich schnell zeigt, dass Gott wohl doch nicht gänzlich tot ist, insofern man in
Europa auch ,heute' noch Moral und Glauben nötig hat. Vielmehr greift dieser
Zweifel auch - und nicht zuletzt im Selbstbezug des ,wahrheitssuchenden'
sprechenden Wir - auf das Feld der Wissenschaft und Gelehrsamkeit aus, das
im weiteren Verlauf des Fünften Buchs ebenfalls bespielt wird (FW 344,
FW 348, FW 349, FW 366, FW 373, FW 381). In diesen Horizont gehören ferner
die Abschnitte über Bewusstsein, Erkenntnis und den perspektivischen Cha-
rakter des Daseins (intepretationsgeschichtlich besonders bedeutsam: FW 354,
FW 355, FW 374). Doch nicht nur als Wissenschaftler, Bewusstseinsforscher
und Erkenntnistheoretiker präsentieren sich die auktorialen Wir des Fünften
Buchs, sondern in einer Reprise des Zweiten Buchs überdies als Ästhetiker,
Künstler und Künstler- bzw. Wagner-Kritiker (FW 356, FW 361, FW 367-370,
FW 376, FW 379), wobei auch die benachbarte Geschlechterthematik nicht aus-
gespart bleibt (FW 361-363, FW 376) - ebensowenig fehlen Betrachtungen über
die vermeintliche Schauspieler-Natur der Juden (FW 361), die indes gleichfalls
als Logiker und damit als nötiges Korrektiv der unvernünftigen Deutschen in
den Blick kommen (FW 348). Zum Fünften Buch sind von der Forschung ver-
schiedene Gliederungsvorschläge unterbreitet worden; vgl. neben der Eintei-
lung in zehn ,Aphorismenketten' und sieben ,Solitäre' von Stegmaier 2012b
etwa die Unterscheidung von insgesamt lediglich „vier Gruppen mit jeweils
zehn Aphorismen und einem Epilogaphorismus" in Strobel 1998, 161.
Anders als zwischen FW Vorspiel und FW I hat N. zwischen FW V und FW
Anhang ein ,Scharnierstück' eingesetzt, das die Grenze zwischen Haupt- und
Paratext durchlässig macht: den Abschnitt FW 383, der zwar „Epilog" über-
schrieben ist, zugleich aber als ,Prolog' zum nachfolgenden lyrischen Zyklus
„Lieder des Prinzen Vogelfrei" interpretiert werden kann (vgl. Detering 2015,
154). Im Unterschied zum Fünften Buch stammt der Gedichtzyklus, durch des-
sen Hinzukommen die fünf ,Aphorismen'-Bücher von FW in der Neuausgabe
einen geschlossenen lyrischen Rahmen erhalten, nicht aus der Zeit nach JGB,
sondern N. integrierte hier überarbeitete Versionen von Gedichten, die bereits
zwischen Frühjahr 1882 und Herbst 1884 entstanden sind (vgl. NK FW An-
hang). Ungeachtet der unterschiedlichen Entstehungszeiträume der einzelnen
Texte von FW Anhang zeichnet sich sowohl auf formaler als auch auf inhaltli-
cher Ebene ein übergreifender Grundzug dieses abschließenden Gedichtzyklus
ab: die gegenüber dem sinnspruchhaft-epigrammatischen Stil des lyrischen
Vorspiels sich deutlich abhebende Liedhaftigkeit der Schluss-Gedichte sowie
eine grundsätzlich poetologisch dimensionierte (Selbst-)Ironie. N. schreibt zu
Beginn des Jahres 1887 in mehreren Briefen wortspielerisch, die neue Ausgabe
von FW laufe „zuletzt in lauter Lieder und Liederlichkeit aus[]" (an Elisabeth