54 Die fröhliche Wissenschaft
trägliche Vorrede im Herbst 1886 entstandene Fünfte Buch als Novität
„unsichtbar zu machen" (Sommer 2016a, 243), indem er es auf dem Titelblatt,
im Unterschied zu dem ebenfalls neu hinzugekommenen lyrischen „Anhang",
nicht einmal erwähnte und es auch in der Retraktation in EH überging. Hier
stellt N. vielmehr erneut FW in einen besonders engen (Entstehungs-)Zusam-
menhang mit Μ, die durch FW, welche er abgesehen von der Überschrift nur
beim neuen Untertitel nennt, in puncto Tiefsinnige Heiterkeit' noch übertroffen
werde: „Die ,Morgenröthe' ist ein jasagendes Buch, tief, aber hell und gütig.
Dasselbe gilt noch einmal und im höchsten Grade von der gaya scienza: fast
in jedem Satz derselben halten sich Tiefsinn und Muthwillen zärtlich an der
Hand." (KSA 6, 333, 3-6) FW V erwähnt N. dabei jedoch mit keinem Wort,
stattdessen werden andere Teile des Werks hervorgehoben, die bereits in der
Ausgabe von 1882 enthalten waren: So erklärt er, man könne am „Schluss des
vierten Buchs die diamantene Schönheit der ersten Worte des Zarathustra auf-
glänzen" sehen, und hebt „die granitnen Sätze am Ende des dritten Buchs"
hervor, „mit denen sich ein Schicksal für alle Zeiten zum ersten Male in
Formeln fasst" (KSA 6, 333, 20 f. u. 22-24).
Verschwiegen wird in EH aber merkwürdigerweise, dass das Werk 1887 in
neuer, ergänzter Ausgabe erschienen war. N. schreibt lediglich über FW An-
hang: „Die Lieder des Prinzen Vogelfrei, zum besten Theil in Sicilien
gedichtet, erinnern ganz ausdrücklich an den provengalischen Begriff der
„gaya scienza", an jene Einheit von Sänger, Ritter und Freigeist, mit
der sich jene wunderbare Frühkultur der Provenzalen gegen alle zweideutigen
Culturen abhebt; das allerletzte Gedicht zumal, ,an den Mistral', ein ausge-
lassenes Tanzlied, in dem, mit Verlaub! über die Moral hinweggetanzt wird, ist
ein vollkommner Provengalismus. -" (KSA 6, 333, 24-334, 6) N. erweist sich
damit als ein höchst unzuverlässiger Erzähler der eigenen Werkgeschichte,
suggeriert er doch - wie auch im Brief an Georg Brandes vom 10. April 1888
(vgl. KSB 8/KGB III 5, Nr. 1014, S. 287, Z. 34 f.) -, bei FW handle es sich um ein
Werk aus einem Guss, das Anfang 1882 entstanden sei. Sizilien bereiste N. im
April dieses Jahres; im Mai erschienen seine - zum Teil schon vorher in Genua
entstandenen - IM, von denen später zwar tatsächlich einige zu „Liedern des
Prinzen Vogelfrei" umgedichtet wurden (vgl. NK FW Anhang); gerade „An
den Mistral" ist jedoch nicht darunter. Die darauf folgende Retraktation von
Za erwähnt dann zwar das Fünfte Buch von FW, unterlässt es aber wiederum,
auf dessen spätere Entstehung hinzuweisen. Stattdessen wird hier ebenfalls
der Eindruck erweckt, FW sei im Ganzen ein Übergangs- und Vorbereitungs-
werk, das in Za münde: „In die Zwischenzeit gehört die ,gaya scienza', die
hundert Anzeichen der Nähe von etwas Unvergleichlichem hat; zuletzt giebt
sie den Anfang des Zarathustra selbst noch" (KSA 6, 336, 6-8). Mit Blick auf
trägliche Vorrede im Herbst 1886 entstandene Fünfte Buch als Novität
„unsichtbar zu machen" (Sommer 2016a, 243), indem er es auf dem Titelblatt,
im Unterschied zu dem ebenfalls neu hinzugekommenen lyrischen „Anhang",
nicht einmal erwähnte und es auch in der Retraktation in EH überging. Hier
stellt N. vielmehr erneut FW in einen besonders engen (Entstehungs-)Zusam-
menhang mit Μ, die durch FW, welche er abgesehen von der Überschrift nur
beim neuen Untertitel nennt, in puncto Tiefsinnige Heiterkeit' noch übertroffen
werde: „Die ,Morgenröthe' ist ein jasagendes Buch, tief, aber hell und gütig.
Dasselbe gilt noch einmal und im höchsten Grade von der gaya scienza: fast
in jedem Satz derselben halten sich Tiefsinn und Muthwillen zärtlich an der
Hand." (KSA 6, 333, 3-6) FW V erwähnt N. dabei jedoch mit keinem Wort,
stattdessen werden andere Teile des Werks hervorgehoben, die bereits in der
Ausgabe von 1882 enthalten waren: So erklärt er, man könne am „Schluss des
vierten Buchs die diamantene Schönheit der ersten Worte des Zarathustra auf-
glänzen" sehen, und hebt „die granitnen Sätze am Ende des dritten Buchs"
hervor, „mit denen sich ein Schicksal für alle Zeiten zum ersten Male in
Formeln fasst" (KSA 6, 333, 20 f. u. 22-24).
Verschwiegen wird in EH aber merkwürdigerweise, dass das Werk 1887 in
neuer, ergänzter Ausgabe erschienen war. N. schreibt lediglich über FW An-
hang: „Die Lieder des Prinzen Vogelfrei, zum besten Theil in Sicilien
gedichtet, erinnern ganz ausdrücklich an den provengalischen Begriff der
„gaya scienza", an jene Einheit von Sänger, Ritter und Freigeist, mit
der sich jene wunderbare Frühkultur der Provenzalen gegen alle zweideutigen
Culturen abhebt; das allerletzte Gedicht zumal, ,an den Mistral', ein ausge-
lassenes Tanzlied, in dem, mit Verlaub! über die Moral hinweggetanzt wird, ist
ein vollkommner Provengalismus. -" (KSA 6, 333, 24-334, 6) N. erweist sich
damit als ein höchst unzuverlässiger Erzähler der eigenen Werkgeschichte,
suggeriert er doch - wie auch im Brief an Georg Brandes vom 10. April 1888
(vgl. KSB 8/KGB III 5, Nr. 1014, S. 287, Z. 34 f.) -, bei FW handle es sich um ein
Werk aus einem Guss, das Anfang 1882 entstanden sei. Sizilien bereiste N. im
April dieses Jahres; im Mai erschienen seine - zum Teil schon vorher in Genua
entstandenen - IM, von denen später zwar tatsächlich einige zu „Liedern des
Prinzen Vogelfrei" umgedichtet wurden (vgl. NK FW Anhang); gerade „An
den Mistral" ist jedoch nicht darunter. Die darauf folgende Retraktation von
Za erwähnt dann zwar das Fünfte Buch von FW, unterlässt es aber wiederum,
auf dessen spätere Entstehung hinzuweisen. Stattdessen wird hier ebenfalls
der Eindruck erweckt, FW sei im Ganzen ein Übergangs- und Vorbereitungs-
werk, das in Za münde: „In die Zwischenzeit gehört die ,gaya scienza', die
hundert Anzeichen der Nähe von etwas Unvergleichlichem hat; zuletzt giebt
sie den Anfang des Zarathustra selbst noch" (KSA 6, 336, 6-8). Mit Blick auf