80 Die fröhliche Wissenschaft
jener alten gaya ciencia" (Herder 1793-1797, 8, 130 f.). Zu Herder als mögli-
cher Quelle für N.s Konzept des „gai saber" vgl. auch Gilman 2001, IXf.;
KSA 14, 647; Reschke 1990b, 387; Borsche 1990, 63 f. u. Stegmaier 2012b, 36 f.
Als zweiten Autor führt Ladendorf Friedrich Schlegel an, der zwar an Her-
ders Urteil über Wieland anknüpft, jedoch dessen Oberon als ,Rückfall' wertet:
„Schade nur, dass der Dichter diese Bahn der fröhlichen Wissenschaft der
alten Rittersänger, und überhaupt die Poesie so bald verließ." (Schlegel 1841,
433) Die von Thomas Mann gemeinte Stelle aus der Lucinde von 1799 lautet:
„,Sieh ich lernte von selbst, und ein Gott hat mancherley Weisen mir in die
Seele gepflanzt.' So darf ich kühnlich sagen, wenn nicht von der fröhlichen
Wissenschaft der Poesie die Rede ist, sondern von der gottähnlichen Kunst der
Faulheit." (Schlegel 1799, 77) Als letzten Beleg vor N. zitiert Ladendorf noch
Karl Immermanns Ausspruch: „Meine Bewandertheit in der akademischen
gaya sciencia erregte Bewunderung." (Immermann 1822, 9, 39) Schließlich ver-
weist Ladendorf auf den Übergang seines ,Schlagworts' in den allgemeinen
Sprachgebrauch um 1900: „So geht das Stichwort zunächst im Kreise der wis-
senschaftlich Gebildeten von Hand zu Hand, bis es sich dann später auch das
allgemeine Publikum erobert." (Ladendorf 1906, 96)
Eine Lektüre der von Ladendorf genannten Texte durch N. ist nicht belegt;
in seiner persönlichen Bibliothek sind die entsprechenden Autoren - abgese-
hen von Immermann, von dem er eine kleine Anthologie mit biographischer
Einleitung besaß (vgl. NPB 314) - nicht vertreten. Andere Quellen, die von der
jüngeren Forschung erwogen wurden, kommen eher in Betracht. Wie Campioni
2009b plausibel gemacht hat, dürfte N.s erste Erwähnung der Formel „gaya
scienza" von 1881 dem Reiseführer von Theodor Gsell-Fels: Süd-Frankreich,
nebst den Kurorten der Riviera di Ponente, Corsica und Algier (1878) entnom-
men worden sein, den N. sich 1880 besorgte (vgl. Postkarte an Franziska Nietz-
sche, 27. 03. 1880, KSB 6/KGB III 1, Nr. 18, S. 13, Z. 10). Jedenfalls deutet die
Auflistung von provenzalischen Lied-Arten in N.s Notat darauf hin, die sich so
ganz ähnlich (abgesehen von einem Entzifferungs- bzw. Abschreibefehler N.s)
schon bei Gsell-Fels findet. NK 6/1, S. 155 (Stellenkommentar zu WA 10, KSA 6,
37, 15 f.) verweist darüber hinaus auf den früheren Südfrankreich-Reiseführer
von Theodor Gsell-Fells und Hermann Alexander von Berlepsch: Süd-Frank-
reich und seine Kurorte (1869), in dem der Ausdruck „gay saber" vorkommt; in
dem späteren Text, den N. kannte, ist hingegen nur von der „gaya scienza" die
Rede. Es ist davon auszugehen, dass N. die synonyme okzitanische Formel
„gay saber" bzw. - so N.s Schreibung - „gai saber" erst 1885 aus einer anderen
Quelle kennengelernt hat.
Bei Gsell-Fels, der sich wohl auf Nostredame 1575 (vgl. Mancini 2009, 107,
Anm. 59; Venturelli 2010, 187 f., Anm. 13 u. Stegmaier 2012b, 37 f., Anm. 53) -
jener alten gaya ciencia" (Herder 1793-1797, 8, 130 f.). Zu Herder als mögli-
cher Quelle für N.s Konzept des „gai saber" vgl. auch Gilman 2001, IXf.;
KSA 14, 647; Reschke 1990b, 387; Borsche 1990, 63 f. u. Stegmaier 2012b, 36 f.
Als zweiten Autor führt Ladendorf Friedrich Schlegel an, der zwar an Her-
ders Urteil über Wieland anknüpft, jedoch dessen Oberon als ,Rückfall' wertet:
„Schade nur, dass der Dichter diese Bahn der fröhlichen Wissenschaft der
alten Rittersänger, und überhaupt die Poesie so bald verließ." (Schlegel 1841,
433) Die von Thomas Mann gemeinte Stelle aus der Lucinde von 1799 lautet:
„,Sieh ich lernte von selbst, und ein Gott hat mancherley Weisen mir in die
Seele gepflanzt.' So darf ich kühnlich sagen, wenn nicht von der fröhlichen
Wissenschaft der Poesie die Rede ist, sondern von der gottähnlichen Kunst der
Faulheit." (Schlegel 1799, 77) Als letzten Beleg vor N. zitiert Ladendorf noch
Karl Immermanns Ausspruch: „Meine Bewandertheit in der akademischen
gaya sciencia erregte Bewunderung." (Immermann 1822, 9, 39) Schließlich ver-
weist Ladendorf auf den Übergang seines ,Schlagworts' in den allgemeinen
Sprachgebrauch um 1900: „So geht das Stichwort zunächst im Kreise der wis-
senschaftlich Gebildeten von Hand zu Hand, bis es sich dann später auch das
allgemeine Publikum erobert." (Ladendorf 1906, 96)
Eine Lektüre der von Ladendorf genannten Texte durch N. ist nicht belegt;
in seiner persönlichen Bibliothek sind die entsprechenden Autoren - abgese-
hen von Immermann, von dem er eine kleine Anthologie mit biographischer
Einleitung besaß (vgl. NPB 314) - nicht vertreten. Andere Quellen, die von der
jüngeren Forschung erwogen wurden, kommen eher in Betracht. Wie Campioni
2009b plausibel gemacht hat, dürfte N.s erste Erwähnung der Formel „gaya
scienza" von 1881 dem Reiseführer von Theodor Gsell-Fels: Süd-Frankreich,
nebst den Kurorten der Riviera di Ponente, Corsica und Algier (1878) entnom-
men worden sein, den N. sich 1880 besorgte (vgl. Postkarte an Franziska Nietz-
sche, 27. 03. 1880, KSB 6/KGB III 1, Nr. 18, S. 13, Z. 10). Jedenfalls deutet die
Auflistung von provenzalischen Lied-Arten in N.s Notat darauf hin, die sich so
ganz ähnlich (abgesehen von einem Entzifferungs- bzw. Abschreibefehler N.s)
schon bei Gsell-Fels findet. NK 6/1, S. 155 (Stellenkommentar zu WA 10, KSA 6,
37, 15 f.) verweist darüber hinaus auf den früheren Südfrankreich-Reiseführer
von Theodor Gsell-Fells und Hermann Alexander von Berlepsch: Süd-Frank-
reich und seine Kurorte (1869), in dem der Ausdruck „gay saber" vorkommt; in
dem späteren Text, den N. kannte, ist hingegen nur von der „gaya scienza" die
Rede. Es ist davon auszugehen, dass N. die synonyme okzitanische Formel
„gay saber" bzw. - so N.s Schreibung - „gai saber" erst 1885 aus einer anderen
Quelle kennengelernt hat.
Bei Gsell-Fels, der sich wohl auf Nostredame 1575 (vgl. Mancini 2009, 107,
Anm. 59; Venturelli 2010, 187 f., Anm. 13 u. Stegmaier 2012b, 37 f., Anm. 53) -