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Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Walter de Gruyter GmbH & Co. KG [Mitarb.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,2, 1. Teilband): Kommentar zu Nietzsches "Die fröhliche Wissenschaft" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2022

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https://doi.org/10.11588/diglit.73066#0108
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Stellenkommentar FW Titel, KSA 3, S. 343 85

(KSA 6, 329, 4). Doch findet sich in Μ 567 auch und gerade die (Selbst-)Auffor-
derung, den Feldzug ,fröhlich' anzugehen und „die Dinge lustiger [zu] neh-
men, als sie es verdienen" (KSA 3, 329, 24 f.).
Darüber hinaus hat das Konzept einer ,fröhlichen Wissenschaft' aber
auch einen Bezug zu der um 1880 in N.s Texten wiederholt herausgestellten
,Heiterkeit' des Denkers, die konstitutiv für die selbstgewählte Einsamkeit
seines kontemplativen Lebens sei und mithin im Gegensatz zur düsteren
Schwermut des Entsagenden stehe (vgl. Μ 440, KSA 3, 269). Damit assoziiert
ist ferner die Absage an ein pessimistisches Daseinsverständnis, wie N. es
noch - im Anschluss an Schopenhauer und Wagner - in seinem Frühwerk,
vor allem in GT kultiviert hatte. Entsprechend weist er denn auch brieflich
gegenüber Gustav Dannreuther darauf hin, dass allein schon der „Titel" von
FW „einem Anhänger Schopenhauers fremd und seltsam klingen mag", da
Schopenhauer von „Fröhlichkeit" nichts wissen wolle (15. 11. 1882, KGB III
7/1, Nr. 330a, S. 7, Z. 10-12). Dagegen ist wiederum in M 450, in säkularisierend-
sinnverkehrender Anspielung auf die Lehre des Evangeliums, von der „frohe[n]
Botschaft" der „Wissenschaft" die Rede, die an die Stelle eines pessimistischen
„Wehe" das „Glück des Erkennenden" setzt (KSA 3, 273, 6-11). Dieses erkennt-
nishafte Glück reicht in der zweiten Ausgabe von FW (1887) sogar bis hin zu
der - wenngleich transitorischen (vgl. ΝΚ FW 343) - Heiterkeit angesichts des
bereits im Dritten Buch (in FW 108 und FW 125) zentralen Gedankens vom ,Tod
Gottes'. So heißt es zu Beginn des Fünften Buchs unter der Überschrift „Was
es mit unserer Heiterkeit auf sich hat": „In der That, wir Philoso-
phen und ,freien Geister' fühlen uns bei der Nachricht, dass der ,alte Gott todt'
ist, wie von einer neuen Morgenröthe angestrahlt; unser Herz strömt dabei
über von Dankbarkeit, Erstaunen, Ahnung, Erwartung" (FW 343, 574, 16-19).
Bemerkenswert ist hier die Verbindung von „Morgenröthe" mit der „Heiter-
keit", die auf das Konzept(gemenge) einer „fröhlichen Wissenschaft" verweist.
So ergibt sich auch zwischen den Buchtiteln der beiden aufeinanderfolgenden
und inhaltlich eng zusammenhängenden Werke nachträglich eine direkte Ver-
bindung.
In der Erstausgabe von FW (1882) begegnet die Titelformel selbst ausdrück-
lich nur an zwei Stellen des Haupttextes: in FW 1, wo sie als Möglichkeit einer
zukünftigen Verbindung des „Lachen[s] mit der Weisheit" (370, 23) aufscheint,
sowie erst wieder im Vierten Buch in FW 327, wo der entsprechende Entschluss
gefasst wird, das „Vorurtheil" aufzudecken, dem zufolge „das Denken Nichts"
tauge, „wo Lachen und Fröhlichkeit" sei (555, 9 f.). Auch in der Neuausgabe
von FW (1887) findet der Buchtitel an zwei neuralgischen Stellen am Anfang
und am Ende Erwähnung: So bezieht ihn FW Vorrede 1 auf die „Trunkenheit
der Genesung" (345, 20 f.), der sich die Niederschrift der Erstausgabe verdanke;
 
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