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Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Walter de Gruyter GmbH & Co. KG [Mitarb.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,2, 1. Teilband): Kommentar zu Nietzsches "Die fröhliche Wissenschaft" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2022

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https://doi.org/10.11588/diglit.73066#0109
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86 Die fröhliche Wissenschaft

und im Schlussgedicht FW Anhang („An den Mistral") verkündet das lyri-
sche Ich die Komplementarität seiner künstlerischen und wissenschaftlichen
Betätigung: „Frei - sei unsre Kunst geheissen, / Fröhlich - unsre Wissen-
schaft!" (650, 29 f.) Nur wenig später, in der Vorrede zur ebenfalls 1887 erschie-
nenen Schrift GM, erfährt die Heiterkeit der „fröhlichen Wissenschaft" dann
eine Deutung als „Lohn" für „unterirdischen Ernst": „Die Heiterkeit nämlich
oder, um es in meiner Sprache zu sagen, die fröhliche Wissenschaft -
ist ein Lohn: ein Lohn für einen langen, tapferen, arbeitsamen und unterirdi-
schen Ernst, der freilich nicht Jedermanns Sache ist." (GM Vorrede 7, KSA 5,
255, 1-5).
Vor dem Hintergrund vielleicht ebendieser Äußerung N.s über den Zusam-
menhang von Heiterkeit und Ernst schreibt Heidegger in Nietzsche I in dem
ihm eigenen pathetischen Duktus: „,Fröhliche' Wissenschaft? Die hier ge-
nannte Fröhlichkeit ist nicht die leere Lustigkeit und Oberfläche des flüchti-
gen Vergnügens, daß einem zum Beispiel die ungestörte Beschäftigung mit
wissenschaftlichen Fragen ,Spaß' macht; gemeint ist jene Heiterkeit des Über-
legenseins, die auch und gerade durch das Härteste und Furchtbarste, d. h.
im Bereich des Wissens durch das Frag-würdigste, nicht mehr umgeworfen
wird, die eher an ihm erstarkt, indem sie es in seiner Notwendigkeit bejaht."
(HGA 6/1, 240) Die in der Titelformel fröhliche Wissenschaft mitzudenkende
Fähigkeit, über sich selbst zu lachen (vgl. die Mottoverse der Neuausgabe von
1887 sowie FW 1, 370, 15-25), ist bei Heidegger offensichtlich nicht vorhan-
den. Bei N. geht sie hingegen so weit, dass er in einem Entwurf zur Vorrede
sogar notiert: „Der ,Narr' in Form der ,Wissenschaft'." (KGW IX 5, W I 8, 63 =
NL 1885/86, 2[166])
Zur ,fröhlichen Wissenschaft' als einer Philosophie des Lachens vgl.
Adams 1994, Markotic 2010, 168-171, Stoller 2016, 278-281 und Hay 2017, 203-
210. Als ein eigener ,Grundbegriff N.s wird „Fröhlichkeit/Fröhliche Wissen-
schaft" neuerdings in Enrico Müllers Nietzsche-Lexilcon abgehandelt (vgl. Mül-
ler 2020b, 148-150). Meist übergangen wird, dass dieser ,Grundbegriff bei N.
nicht durchweg positiv konnotiert ist. Ein kritischer Gegenreflex findet sich
etwa in folgendem Entwurf zu Za: „Zarathustra 3. gegen die Behaglich-
keit des Weisen - gegen die ,fröhliche Wissenschaft'" (NL 1883, 15[17],
KSA 10, 483, 8 f.).
[Motto der Ausgabe 1882] „Dem Dichter und Weisen sind alle Dinge befreundet
und geweiht, alle Erlebnisse nützlich, [sic] alle Tage heilig, alle Menschen gött-
lich." Emerson.] Das Motto-Zitat, das N. nicht ganz wortgetreu wiedergibt,
stammt aus Emerson 1858, 9: „Dem Poeten, dem Philosophen wie dem Heiligen
sind alle Dinge befreundet und geweiht, alle Ereignisse nützlich, alle Tage hei-
 
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