98 Die fröhliche Wissenschaft
150, 19 f.; Notat gekreuzt durchgestrichen.) Ein Entwurf im selben Heft, der
das ,Nottun' mehrerer Vorreden noch nicht, wie die Druckfassung, durch ein
„vielleicht" (345, 4) einschränkt, sondern in einem Nebensatz als schlichtweg
gegeben hinstellt, hebt dagegen auf eine Diskrepanz zwischen Inhalt und Form
ab, um die Un- bzw. Schwerverständlichkeit des Buchs zu begründen: „Was
r vielleicht' am schwersten an diesem schwerverständlichen Buche zu begreifen
ist, dem nicht nur / Eine Vorrede noth thun't,' mag ist das ist die Ironie des
Gegensatzes "sublime Bosheit, mit der sich sein Thema u.' zwischen seinem /
Thema, einer Auflösung u. Aufdröselung der moral. Werthe - u seinem Tone,
dem der / höchsten zartesten "mildesten' weisesten Gelassenheit" (KGW IX 5,
W I 8, 67, 31-38 = NL 1885/86, 2[164], KSA 12, 147, 4-8; Notat gekreuzt durchge-
strichen). Die in der Druckfassung stattdessen jedoch hervorgehobene Erleb-
nishaftigkeit des Buchs korrespondiert mit N.s Bemerkung, FW sei „das Per-
sönlichste" seiner Werke (Brief an Paul Ree, Ende August 1882, KSB 6/
KGB III 1, Nr. 292, S. 247, Z. 19 f.), für welches das - generell von ihm in An-
spruch genommene - Prinzip des „mihi ipsi scribo" in besonderem Maße gelte
(Brief an Paul Ree, 29. 05. 1882, KSB 6/KGB III 1, Nr. 235, S. 199, Z. 19).
Zugleich stellt sich der Text damit in eine Tradition poetologischer Selbst-
stilisierung, wie sie insbesondere von Goethe her geläufig ist, der bekanntlich
all seine literarischen Produktionen als „Bruchstücke einer großen Confession"
(Goethe 1870, 283) bezeichnete und damit nachdrücklich auf den autobiogra-
phischen Erlebnisgehalt seiner Dichtungen hinwies. Parallel zu bzw. später
auch in Auseinandersetzung mit N. wurde der Erlebnisbegriff in Deutschland
vor allem von Wilhelm Dilthey (1833-1911) lanciert (zu möglichen Dilthey-Bezü-
gen in FW vgl. NK 594, 33 f. u. NK FW 366), wobei jedoch laut Visser 1996, 224
ein wesentlicher „Unterschied" darin bestehe, „daß sich Diltheys Interesse auf
das Element des Erlebens, auf das Erleben schlechthin richtetet, währenddes-
sen [sic] es Nietzsche nicht so sehr um das Erleben als vielmehr um sein Erle-
ben gegangen ist." Zumindest spricht FW Vorrede dezidiert von einem persön-
lichen Erleben des ,Autors'. Das in FW Vorrede 1 gemeinte Erlebnis, auf dem
das nachstehende Werk beruhe, wird direkt im Anschluss beschrieben: Es han-
delt sich um das Erlebnis der („Hoffnung" auf) „Genesung" (345, 19-21). Mit
der anschließenden Reflexion auf das Verhältnis von Krankheit und Gesund-
heit und dessen philosophische Bedeutung steht die im Herbst 1886 verfasste
Vorrede ganz im Zeichen des Spätwerks, das immer wieder um diese Thematik
kreist (vgl. hierzu NH 243 f.).
Indes hatte N. bereits während der Entstehungs- und Erscheinungszeit der
ersten Ausgabe von FW das Persönlich-Erlebnishafte dieser Schrift betont und
auf seinen Gesundheitszustand bezogen. So schreibt er Mitte Juli 1882 an Erwin
Rohde über das neue Werk, das er zusammen mit MA und M als seine „selbst-
150, 19 f.; Notat gekreuzt durchgestrichen.) Ein Entwurf im selben Heft, der
das ,Nottun' mehrerer Vorreden noch nicht, wie die Druckfassung, durch ein
„vielleicht" (345, 4) einschränkt, sondern in einem Nebensatz als schlichtweg
gegeben hinstellt, hebt dagegen auf eine Diskrepanz zwischen Inhalt und Form
ab, um die Un- bzw. Schwerverständlichkeit des Buchs zu begründen: „Was
r vielleicht' am schwersten an diesem schwerverständlichen Buche zu begreifen
ist, dem nicht nur / Eine Vorrede noth thun't,' mag ist das ist die Ironie des
Gegensatzes "sublime Bosheit, mit der sich sein Thema u.' zwischen seinem /
Thema, einer Auflösung u. Aufdröselung der moral. Werthe - u seinem Tone,
dem der / höchsten zartesten "mildesten' weisesten Gelassenheit" (KGW IX 5,
W I 8, 67, 31-38 = NL 1885/86, 2[164], KSA 12, 147, 4-8; Notat gekreuzt durchge-
strichen). Die in der Druckfassung stattdessen jedoch hervorgehobene Erleb-
nishaftigkeit des Buchs korrespondiert mit N.s Bemerkung, FW sei „das Per-
sönlichste" seiner Werke (Brief an Paul Ree, Ende August 1882, KSB 6/
KGB III 1, Nr. 292, S. 247, Z. 19 f.), für welches das - generell von ihm in An-
spruch genommene - Prinzip des „mihi ipsi scribo" in besonderem Maße gelte
(Brief an Paul Ree, 29. 05. 1882, KSB 6/KGB III 1, Nr. 235, S. 199, Z. 19).
Zugleich stellt sich der Text damit in eine Tradition poetologischer Selbst-
stilisierung, wie sie insbesondere von Goethe her geläufig ist, der bekanntlich
all seine literarischen Produktionen als „Bruchstücke einer großen Confession"
(Goethe 1870, 283) bezeichnete und damit nachdrücklich auf den autobiogra-
phischen Erlebnisgehalt seiner Dichtungen hinwies. Parallel zu bzw. später
auch in Auseinandersetzung mit N. wurde der Erlebnisbegriff in Deutschland
vor allem von Wilhelm Dilthey (1833-1911) lanciert (zu möglichen Dilthey-Bezü-
gen in FW vgl. NK 594, 33 f. u. NK FW 366), wobei jedoch laut Visser 1996, 224
ein wesentlicher „Unterschied" darin bestehe, „daß sich Diltheys Interesse auf
das Element des Erlebens, auf das Erleben schlechthin richtetet, währenddes-
sen [sic] es Nietzsche nicht so sehr um das Erleben als vielmehr um sein Erle-
ben gegangen ist." Zumindest spricht FW Vorrede dezidiert von einem persön-
lichen Erleben des ,Autors'. Das in FW Vorrede 1 gemeinte Erlebnis, auf dem
das nachstehende Werk beruhe, wird direkt im Anschluss beschrieben: Es han-
delt sich um das Erlebnis der („Hoffnung" auf) „Genesung" (345, 19-21). Mit
der anschließenden Reflexion auf das Verhältnis von Krankheit und Gesund-
heit und dessen philosophische Bedeutung steht die im Herbst 1886 verfasste
Vorrede ganz im Zeichen des Spätwerks, das immer wieder um diese Thematik
kreist (vgl. hierzu NH 243 f.).
Indes hatte N. bereits während der Entstehungs- und Erscheinungszeit der
ersten Ausgabe von FW das Persönlich-Erlebnishafte dieser Schrift betont und
auf seinen Gesundheitszustand bezogen. So schreibt er Mitte Juli 1882 an Erwin
Rohde über das neue Werk, das er zusammen mit MA und M als seine „selbst-