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Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Walter de Gruyter GmbH & Co. KG [Contr.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,2, 1. Teilband): Kommentar zu Nietzsches "Die fröhliche Wissenschaft" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2022

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https://doi.org/10.11588/diglit.73066#0166
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Stellenkommentar FW Vorrede 4, KSA 3, S. 351-352 143

ganz ähnliche Vorstellung von solch erneuernder Rückkehr aus lebensbedroh-
lichen Tiefen artikuliert N. bereits in seinem Brief an Paul Ree vom 8. Juli 1881:
„So wollen wir's nur fort treiben! Am Ende, mein lieber tapferer Freund, sind
wir doch ein Paar tüchtige Schwimmer. Alle Welt hält uns schon für ertrunken,
aber da tauchen wir immer wieder auf und bringen sogar aus der Tiefe etwas
mit herauf, was, wie wir meinen, Werth hat und vielleicht auch einmal für
Andre Glanz bekommen wird." (KSB 6/KGB III 1, Nr. 124, S. 101, Z. 2-7)
351, 15-19 Wie boshaft wir nunmehr dem grossen Jahrmarkts-Bumbum zuhören,
mit dem sich der „gebildete Mensch" und Grossstädter heute durch Kunst, Buch
und Musik zu „geistigen Genüssen", unter Mithülfe geistiger Getränke, nothzüch-
tigen lässt!] Eine nachgelassene Aufzeichnung aus dem Jahr 1885 äußert sich
bereits über „'unser' Zeitalter des großen BumBum / [...] 'mit™ seinem Pöbel-
rJahrmarkts=™Geschmack" (KGW IX 1, N VII 1, 46, 1-4 = NL 1885, 34[209],
KSA 11, 492, 16 f.). In FW 359 taucht das „Bumburn" im Fünften Buch erneut
auf, diesmal aber nicht in Bezug auf ästhetische, sondern auf moralische bzw.
religiöse Wertschätzungen: als „das Bumburn von Gerechtigkeit, Weisheit, Hei-
ligkeit, Tugend" (606, 12 f.). Lässt die Rede vom „grossen Jahrmarkts-Bumbum"
in Bezug auf „Kunst, Buch und Musik" bereits an Richard Wagner denken, wie
er in vielen Texten N.s aus dieser Zeit charakterisiert wird, so wird diesem in
Der Fall Wagner (WA) das „Bumburn" selbst als Credo in den Mund gelegt:
„Sursum! Bumburn! - es giebt keinen besseren Rath." (WA 6, KSA 6, 25, 31 f.)
Auf den sakralen Ursprung des „Sursum corda!" („Erhebet die Herzen!") in der
katholischen Liturgie, in welcher der Priester diese Forderung gegenüber den
Gläubigen ausspricht, macht Sommer 2016a, 246 aufmerksam. Das „Bumburn"
bei N. könnte auch als lautmalerische Verballhornung der Antwort der Gemein-
de: „Habemus ad dominum" („Wir haben sie beim Herrn") gemeint sein.
351, 19 nothzüchtigen] Vgl. Grimm 1854-1971, 13, 962: „1) per vim stuprare"
(= vergewaltigen, schänden), „2) überhaupt gewaltsam zu etwas nöthigen,
zwingen".
351, 24-352, 31 Nein, wenn wir Genesenden überhaupt eine Kunst noch brau-
chen, so ist es eine andre Kunst - eine spöttische, leichte, flüchtige, göttlich
unbehelligte, göttlich künstliche Kunst, welche wie eine helle Flamme in einen
unbewölkten Himmel hineinlodert! Vor Allem: eine Kunst für Künstler, nur für
Künstler! Wir verstehn uns hinterdrein besser auf Das, was dazu zuerst noth
thut, die Heiterkeit, jede Heiterkeit, meine Freunde! auch als Künstler -: ich
möchte es beweisen. Wir wissen Einiges jetzt zu gut, wir Wissenden: oh wie wir
nunmehr lernen, gut zu vergessen, gut nicht-zu-wissen, als Künstler! Und was
unsere Zukunft betrifft: man wird uns schwerlich wieder auf den Pfaden jener
ägyptischen Jünglinge finden, welche Nachts Tempel unsicher machen, Bildsäu-
 
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