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Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Walter de Gruyter GmbH & Co. KG [Mitarb.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,2, 1. Teilband): Kommentar zu Nietzsches "Die fröhliche Wissenschaft" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2022

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https://doi.org/10.11588/diglit.73066#0177
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154 Die fröhliche Wissenschaft

lässt sich als Anregung hierfür eine zeitnahe Lektüre N.s vermuten: In Arnobi-
us' Sieben Büchern wider die Heiden (V 25), deren deutsche Übersetzung sich
N. im Herbst 1884 von seiner Mutter zuschicken lässt (vgl. Brief an Franziska
Nietzsche, 20.09. 1884, KSB 6/KGB III 1, Nr. 537, S. 536, Z. 23-26), wird geschil-
dert, wie Baubo die um ihre Tochter trauernde Demeter zunächst erfolglos mit
einem Getränk aufmuntern wollte: „Da dieß öfter geschah und durch keine
Gefälligkeit der unüberwindliche Vorsatz gebrochen werden konnte, so änderte
Baubo die Kunstgriffe und was sie ernsthaft nicht anzulocken im Stande war,
beschloß sie durch unfläthigen Spaß zu erheitern. Sie befreite also jenen Theil
des Leibes, mittelst dessen das weibliche Geschlecht sowohl Kinder fortpflanzt
als auch das Geschlecht den Namen erwirbt, von dem zottigen Haarwuchs, gab
ihm ein reinlicheres Aussehen und machte ihn glatt wie bei einem noch nicht
rauhen und behaarten Knaben, kehrte dann zur betrübten Göttin zurück, hob,
während jenen Gemeinplätzen, welche man zur Schwächung und Mäßigung
der Trauer wie gebräuchlich anwendet, ihre Gewänder auf und zeigte alle jene
Orte der Scham am entblößten Leibe. Unverzüglich heftete die Göttin die Au-
gen auf die Scham und weidete sich an der unerhörten Beschaffenheit des
Trostes. Dann durch Lachen erheiterter nahm und genoß sie den verschmähten
Trank; und was lange der Baubo Scheu nicht hervorbringen konnte, erpreßte
so der schandvollen Handlung Unzüchtigkeit." (Arnobius 1842, 153)
Der Herausgeber Franz Anton von Besnard führt im Kommentar hierzu
eine Parallelstelle im Protreptikos des Clemens Alexandrinus an, die N. durch
einen Randstrich markiert hat (vgl. NPB 126 f.): „Als Demeter ihre Tochter Kora
suchend umherirrte, setzte sie sich zu Eleusis in Attika ermüdet und traurig
an einem Brunnen nieder. Dieß zu thun ist auch jetzt noch den Eingeweihten
verboten, damit sie nicht nach empfangener Weihe Trauernde nachzuahmen
scheinen. [...] Baubo, auch dieß will ich nicht verschweigen, bewirthete nun
die Deo und bot ihr einen Mischtrank an. Da aber die Göttin ihn zu nehmen
verweigerte und nicht trinken wollte, weil sie in tiefer Trauer war, so grämte
sich Baubo darüber sehr, weil sie verschmäht zu seyn glaubte, enthüllte ihre
Schaamtheile und zeigte dieselben der Göttin. Deo aber erfreute sich über den
Anblick und nahm nun, obwohl ungern, den Trank an, weil ihr das was sie
sah Vergnügen machte. Dieß sind die geheimen Mysterien der Athener, von
denen auch Orpheus schreibt. Ich will des Orpheus Verse selbst hersetzen, da-
mit der Mystagoge selbst Zeuge der Schaamlosigkeit sey: // Sie nun hub die
Gewand' und zeigt' unschicklich gestaltet / ganz den Leib. Da nahte der Knab'
lacchos und klatscht' ihn / sanft mit der Hand auflachend der Baubo unter
dem Rockschooß. / Baubo lächelte deß, auch lächelte herzlich die Göttin; /
und sie empfing das bunte Gefäß, das faßte den Mischtrank." (Arnobius 1842,
548)
 
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