164 Die fröhliche Wissenschaft
ein einziges Gedicht, nämlich FW Vorspiel 5, das in der klassischen Form eines
elegischen Distichons zugleich die moralphilosophische Problematik der Tu-
genden und die eigene poetische Form reflektiert. Zwar enthält der Eröffnungs-
zyklus wie schon angedeutet noch weitere Zweizeiler - FW Vorspiel 12-22 (mit
Ausnahme des Dreizeilers FW Vorspiel 13) -, doch diese weichen ihrerseits
durch Endreim und Metrum von jener strengen Form des Epigramms ab. Vgl.
hierzu auch Benne 2015a, 32 f. Epigrammatisch ist am ehesten der Sinnspruch-
Charakter (vgl. hierzu NK 3/1, S. 477-479) vieler Gedichte aus FW Vorspiel, den
schon Ernst Bertram in seinem 1918 zuerst erschienenen Buch Nietzsche. Ver-
such einer Mythologie hervorhebt und als Weiterentwicklung von „Goethes
Spruchweisheit in Reimen" in der Traditionslinie der „Hans Sachs-Kleinwelt"
versteht: „Bis ins einzelne ist Nietzsches Knittel- und Spottvers eine mehr oder
weniger bewußte Weiterbildung der goetheschen altdeutschen Reimtechnik,
eine Weiterbildung ins Grellere, nervös Geistreichere, Heinesche, ja ins bewußt
Parodische, Verzerrte, Grimassierende hinüber [...]. Die Reimsprüche dieses
Vorspiels, aus dem Jahre vor dem Zarathustra, bilden, mit noch einigen Ergän-
zungen des Nachlasses, gleichsam eine positive Goethe-Parodie." (Bertram
1918, 216) In der Tat vermag Bertram in seinem von der neueren N.-Forschung
wenig beachteten Kapitel „Scherz, List und Rache" (vgl. aber Bolay 2017, 455-
457) - über den bloßen Bezug des gleichnamigen Titels von N.s „Vorspiel in
deutschen Reimen" zu Goethes Singspiel hinaus - einige konkrete intertextuel-
le Verbindungen zu dessen Spruchdichtung aufzuzeigen, auf deren zumal for-
male Vorbildlichkeit für FW Vorspiel auch Benne 2015a, 33 hinweist.
Neben Bertram 1918 und Benne 2015a liegen noch weitere ,Gesamtdarstel-
lungen' zu FW Vorspiel vor. Higgins 2000, 14-41 verweist extensiv auf mögli-
che Bezüge zu Goethes Singspiel sowie ebenfalls zur provenzalischen Troba-
dorkultur und wertet die Gedichte in formaler Hinsicht als „nursery rhymes"
bzw. „childhood rhythms", die inhaltlich freilich ironisch bis sarkastisch und
letztlich ,amoralisch' daherkommen (ebd., 15; ähnlich sprechen auch Günzel/
Schmidt-Grepaly 2003, 4 hinsichtlich der maschinenschriftlichen ,Vorstufen'
von humoristischen „Kinderreime[n]"). Langer 2010, 14-27 hingegen spricht
mit Blick auf die Form der Gedichte recht pauschal von einem „excellent exam-
ple of art" (ebd., 14) für Liebhaber literarischer Artistik, und Prange 2013, 216-
225 liest den Zyklus vor dem Hintergrund von N.s Hinweis auf die für FW Vor-
spiel vorbildhafte Trobador-Lyrik (vgl. Brief an Erwin Rohde, Anfang Dezember
1882, KSB 6/KGB III 1, Nr. 345, S. 292, Z. 34-36) vor allem als poetisches Doku-
ment seines Bestrebens, „to mix the north and the south and shape himself
into a ,good European'" (ebd., 223). Außerdem stellt auch Prange ausgiebig
Goethe-Bezüge her und gelangt zu der (an Bertram erinnernden) Schlussfolge-
rung, es handle es sich bei N.s Vorspiel-Gedichten insgesamt um „a confirma-
ein einziges Gedicht, nämlich FW Vorspiel 5, das in der klassischen Form eines
elegischen Distichons zugleich die moralphilosophische Problematik der Tu-
genden und die eigene poetische Form reflektiert. Zwar enthält der Eröffnungs-
zyklus wie schon angedeutet noch weitere Zweizeiler - FW Vorspiel 12-22 (mit
Ausnahme des Dreizeilers FW Vorspiel 13) -, doch diese weichen ihrerseits
durch Endreim und Metrum von jener strengen Form des Epigramms ab. Vgl.
hierzu auch Benne 2015a, 32 f. Epigrammatisch ist am ehesten der Sinnspruch-
Charakter (vgl. hierzu NK 3/1, S. 477-479) vieler Gedichte aus FW Vorspiel, den
schon Ernst Bertram in seinem 1918 zuerst erschienenen Buch Nietzsche. Ver-
such einer Mythologie hervorhebt und als Weiterentwicklung von „Goethes
Spruchweisheit in Reimen" in der Traditionslinie der „Hans Sachs-Kleinwelt"
versteht: „Bis ins einzelne ist Nietzsches Knittel- und Spottvers eine mehr oder
weniger bewußte Weiterbildung der goetheschen altdeutschen Reimtechnik,
eine Weiterbildung ins Grellere, nervös Geistreichere, Heinesche, ja ins bewußt
Parodische, Verzerrte, Grimassierende hinüber [...]. Die Reimsprüche dieses
Vorspiels, aus dem Jahre vor dem Zarathustra, bilden, mit noch einigen Ergän-
zungen des Nachlasses, gleichsam eine positive Goethe-Parodie." (Bertram
1918, 216) In der Tat vermag Bertram in seinem von der neueren N.-Forschung
wenig beachteten Kapitel „Scherz, List und Rache" (vgl. aber Bolay 2017, 455-
457) - über den bloßen Bezug des gleichnamigen Titels von N.s „Vorspiel in
deutschen Reimen" zu Goethes Singspiel hinaus - einige konkrete intertextuel-
le Verbindungen zu dessen Spruchdichtung aufzuzeigen, auf deren zumal for-
male Vorbildlichkeit für FW Vorspiel auch Benne 2015a, 33 hinweist.
Neben Bertram 1918 und Benne 2015a liegen noch weitere ,Gesamtdarstel-
lungen' zu FW Vorspiel vor. Higgins 2000, 14-41 verweist extensiv auf mögli-
che Bezüge zu Goethes Singspiel sowie ebenfalls zur provenzalischen Troba-
dorkultur und wertet die Gedichte in formaler Hinsicht als „nursery rhymes"
bzw. „childhood rhythms", die inhaltlich freilich ironisch bis sarkastisch und
letztlich ,amoralisch' daherkommen (ebd., 15; ähnlich sprechen auch Günzel/
Schmidt-Grepaly 2003, 4 hinsichtlich der maschinenschriftlichen ,Vorstufen'
von humoristischen „Kinderreime[n]"). Langer 2010, 14-27 hingegen spricht
mit Blick auf die Form der Gedichte recht pauschal von einem „excellent exam-
ple of art" (ebd., 14) für Liebhaber literarischer Artistik, und Prange 2013, 216-
225 liest den Zyklus vor dem Hintergrund von N.s Hinweis auf die für FW Vor-
spiel vorbildhafte Trobador-Lyrik (vgl. Brief an Erwin Rohde, Anfang Dezember
1882, KSB 6/KGB III 1, Nr. 345, S. 292, Z. 34-36) vor allem als poetisches Doku-
ment seines Bestrebens, „to mix the north and the south and shape himself
into a ,good European'" (ebd., 223). Außerdem stellt auch Prange ausgiebig
Goethe-Bezüge her und gelangt zu der (an Bertram erinnernden) Schlussfolge-
rung, es handle es sich bei N.s Vorspiel-Gedichten insgesamt um „a confirma-