Stellenkommentar FW 1, KSA 3, S. 369-370 253
die Legitimationsgrundlage staatlicher Gesetzgebung: „Ist das allgemeine Gut,
Wohlfahrt, Nutzen das höchste Ziel und sind staatliche Ver-/58/fügungen nur
insoweit berechtigt, als sie die Mittel zur Erreichung dieses höchsten Zieles
bilden, so können dieselben auch nur insofern Autorität beanspruchen, als sie
daraus erwächst, dass sie diesem höchsten Ziele förderlich sind. Sind sie gut,
so sind sie es nur, weil die ursprüngliche Autorität hinter ihnen steht, und
können sie diese Bürgschaft nicht aufweisen, so sind sie schlecht. [Von N. mit
Randstrich und Ausrufezeichen markiert.] Mit andern Worten, das Handeln
kann nicht durch das Gesetz für gut oder schlecht erklärt werden, sondern sein
guter oder böser Charakter wird in letzter Linie doch nur durch seine Wirkun-
gen bestimmt, jenachdem es seinem Wesen nach das Leben der Einzelnen för-
dert oder nicht." (Spencer 1879, 57 f; N.s Unterstreichungen) Am unteren Rand
von S. 57 hinterließ N. in seinem Exemplar die kurze, aber eindeutige Bemer-
kung: „Hornvieh!"
369, 17-370, 1 Auch der schädlichste Mensch ist vielleicht immer noch der aller-
nützlichste, in Hinsicht auf die Erhaltung der Art; denn er unterhält bei sich oder,
durch seine Wirkung, bei Anderen Triebe, ohne welche die Menschheit längst
erschlafft oder verfault wäre. Der Hass, die Schadenfreude, die Raub- und
Herrschsucht und was Alles sonst böse genannt wird: es gehört zu der erstaunli-
chen Oekonomie der Arterhaltung, freilich zu einer kostspieligen, verschwenderi-
schen und im Ganzen höchst thörichten Oekonomie - welche aber bewiesener
Maassenunser Geschlecht bisher erhalten hat.] Die Vermutung, auch ,schädli-
che', ,böse‘ Menschen könnten nützlich für die „Arterhaltung" sein, wider-
spricht der Auffassung, die Georg Heinrich Schneider in seinem Buch Der
menschliche Wille vertritt. Eine von N. mit Randstrich versehene Formulierung
Schneiders lautet, „dass jede unzweckmäßige, d. h. der Arterhaltung entgegen-
wirkende und deshalb böse und verderbenbringende Handlung, auch wenn sie
nur einmal begangen, ja selbst, wenn sie nur gedacht wird!, auf Grund der
Anpassungsgesetze eine Disposition zu dieser Handlung schafft", die „durch
Vererbung übertragen wird", weshalb „wir Ursache haben, jede That vorher zu
überlegen und immer nach dem Guten zu streben" (Schneider 1882, 97). Vgl.
in ähnlichem Rekurs auf die evolutionsbiologische Vererbungslehre auch die
von N. ebenfalls angestrichene utilitaristische Moralentstehungstheorie in
Spencer 1879, 136 f. Ohne namentlich genannt oder unter diesen Begriff ge-
bracht zu werden, lassen sich diese Positionen als Ausformungen jener Lehren
vom Daseinszweck verstehen, die im Titel von FW 1 stehen und die das Text-
Ich ,umdreht'.
Während nach Schneider moralisch gute Handlungen also schon allein
zum biologischen Zweck der Arterhaltung geboten sind - einen richtenden Jen-
seits-Gott braucht diese Moralbegründung nicht mehr -, greift das in FW 1
die Legitimationsgrundlage staatlicher Gesetzgebung: „Ist das allgemeine Gut,
Wohlfahrt, Nutzen das höchste Ziel und sind staatliche Ver-/58/fügungen nur
insoweit berechtigt, als sie die Mittel zur Erreichung dieses höchsten Zieles
bilden, so können dieselben auch nur insofern Autorität beanspruchen, als sie
daraus erwächst, dass sie diesem höchsten Ziele förderlich sind. Sind sie gut,
so sind sie es nur, weil die ursprüngliche Autorität hinter ihnen steht, und
können sie diese Bürgschaft nicht aufweisen, so sind sie schlecht. [Von N. mit
Randstrich und Ausrufezeichen markiert.] Mit andern Worten, das Handeln
kann nicht durch das Gesetz für gut oder schlecht erklärt werden, sondern sein
guter oder böser Charakter wird in letzter Linie doch nur durch seine Wirkun-
gen bestimmt, jenachdem es seinem Wesen nach das Leben der Einzelnen för-
dert oder nicht." (Spencer 1879, 57 f; N.s Unterstreichungen) Am unteren Rand
von S. 57 hinterließ N. in seinem Exemplar die kurze, aber eindeutige Bemer-
kung: „Hornvieh!"
369, 17-370, 1 Auch der schädlichste Mensch ist vielleicht immer noch der aller-
nützlichste, in Hinsicht auf die Erhaltung der Art; denn er unterhält bei sich oder,
durch seine Wirkung, bei Anderen Triebe, ohne welche die Menschheit längst
erschlafft oder verfault wäre. Der Hass, die Schadenfreude, die Raub- und
Herrschsucht und was Alles sonst böse genannt wird: es gehört zu der erstaunli-
chen Oekonomie der Arterhaltung, freilich zu einer kostspieligen, verschwenderi-
schen und im Ganzen höchst thörichten Oekonomie - welche aber bewiesener
Maassenunser Geschlecht bisher erhalten hat.] Die Vermutung, auch ,schädli-
che', ,böse‘ Menschen könnten nützlich für die „Arterhaltung" sein, wider-
spricht der Auffassung, die Georg Heinrich Schneider in seinem Buch Der
menschliche Wille vertritt. Eine von N. mit Randstrich versehene Formulierung
Schneiders lautet, „dass jede unzweckmäßige, d. h. der Arterhaltung entgegen-
wirkende und deshalb böse und verderbenbringende Handlung, auch wenn sie
nur einmal begangen, ja selbst, wenn sie nur gedacht wird!, auf Grund der
Anpassungsgesetze eine Disposition zu dieser Handlung schafft", die „durch
Vererbung übertragen wird", weshalb „wir Ursache haben, jede That vorher zu
überlegen und immer nach dem Guten zu streben" (Schneider 1882, 97). Vgl.
in ähnlichem Rekurs auf die evolutionsbiologische Vererbungslehre auch die
von N. ebenfalls angestrichene utilitaristische Moralentstehungstheorie in
Spencer 1879, 136 f. Ohne namentlich genannt oder unter diesen Begriff ge-
bracht zu werden, lassen sich diese Positionen als Ausformungen jener Lehren
vom Daseinszweck verstehen, die im Titel von FW 1 stehen und die das Text-
Ich ,umdreht'.
Während nach Schneider moralisch gute Handlungen also schon allein
zum biologischen Zweck der Arterhaltung geboten sind - einen richtenden Jen-
seits-Gott braucht diese Moralbegründung nicht mehr -, greift das in FW 1