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Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Walter de Gruyter GmbH & Co. KG [Mitarb.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,2, 1. Teilband): Kommentar zu Nietzsches "Die fröhliche Wissenschaft" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2022

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https://doi.org/10.11588/diglit.73066#0551
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528 Die fröhliche Wissenschaft

kenntnisskeptischen Einsichten aufmerksam macht, kommt folgende ,Vorstufe'
vom Herbst 1881 noch thetischer und damit selbstbewusster daher: „Es kommt
so außerordentl[ich] viel mehr darauf an, wie die Dinge heißen - als man
glaubt." (N V 7, 173) Ein auffälliger Unterschied zur Druckfassung besteht fer-
ner darin, dass das ,Vergleichsobjekt' hier die landläufige Auffassung, in der
finalen Version hingegen hochtrabender das (wesentliche) Sein der Dinge ist,
das es doch nach dem vorangehenden Abschnitt FW 57 so gar nicht gibt. Das
„Wesen" taucht denn auch im Fortgang der Argumentation von FW 58 mehr-
fach auf (vgl. 422, 15 u. 20), erweist sich indes schließlich doch wieder als nicht
anzusteuerndes Erkenntnisziel (vgl. NK 422, 24-27).
422, 12-19 Der Ruf, Name und Anschein, die Geltung, das übliche Maass und
Gewicht eines Dinges - im Ursprünge zuallermeist ein Irrthum und eine Willkür-
lichkeit, den Dingen übergeworfen wie ein Kleid und seinem Wesen und selbst
seiner Haut ganz fremd - ist durch den Glauben daran und sein Fortwachsen
von Geschlecht zu Geschlecht dem Dinge allmählich gleichsam an- und einge-
wachsen und zu seinem Leibe selber geworden] Wie schon der vorangehende
Abschnitt FW 57 verweist auch dieser Passus auf Überlegungen aus WL 1 zu-
rück. Dort werden folgende Fragen zum Verhältnis von Sprache und Realität
aufgeworfen: „wie steht es mit jenen Conventionen der Sprache? Sind sie viel-
leicht Erzeugnisse der Erkenntniss, des Wahrheitssinnes: decken sich die Be-
zeichnungen und die Dinge? Ist die Sprache der adäquate Ausdruck aller Reali-
täten?" (KSA 1, 878, 13-16) Diese sprachphilosophisch-erkenntnistheoretischen
Fragen erhalten im Fortgang eindeutig verneinende Antworten; die arbiträren
sprachlichen Zeichen stehen demnach in keinem inneren Zusammenhang mit
dem Wesen der durch sie bezeichneten Dinge: „Wir glauben etwas von den
Dingen selbst zu wissen, wenn wir von Bäumen, Farben, Schnee und Blumen
reden und besitzen doch nichts als Metaphern der Dinge, die den ursprüngli-
chen Wesenheiten ganz und gar nicht entsprechen. [...] Logisch geht es also
jedenfalls nicht bei der Entstehung der Sprache zu, und das ganze Material
worin und womit später der Mensch der Wahrheit, der Forscher, der Philosoph
arbeitet und baut, stammt, wenn nicht aus Wolkenkukuksheim, so doch jeden-
falls nicht aus dem Wesen der Dinge." (KSA 1, 879, 19-22 u. 25-29)
Die Frage, ob Sprache von sich aus mit der Realität übereinstimme oder
lediglich auf Konvention beruhe, wurde bereits in der Antike diskutiert, so in
Platons Dialog Kratylos. N.s Hauptquelle hierfür war wohl Gerber 1871-1874, 1,
130 f., der wiederum ausführlich Heymann Steinthals Arbeiten über den Ur-
sprung der Sprache (1851) und die - von N. aus der Universitätsbibliothek Basel
entliehene (vgl. Crescenzi 1994, S. 391, Nr. 16) - Geschichte der Sprachwissen-
schaft bei den Griechen und Römern (1863) referiert; vgl. hierzu NK 1/3, S. 39 f.
Dass FW 58 an WL 1 erinnert, bemerkt auch Cox 1999, 38, Anm. 30. Die spätere
 
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