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Kaufmann, Sebastian; Nietzsche, Friedrich; Walter de Gruyter GmbH & Co. KG [Mitarb.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 3,2, 1. Teilband): Kommentar zu Nietzsches "Die fröhliche Wissenschaft" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2022

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https://doi.org/10.11588/diglit.73066#0552
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Stellenkommentar FW 58, KSA 3, S. 422 529

Formulierung ist freilich weniger eindeutig als die frühere. Wird in WL 1 der
metaphorische Status jeglicher sprachlicher Zeichen behauptet, irritiert in
FW 58 bei näherem Hinsehen die einschränkende Formulierung „zuallermeist
ein Irrthum und eine Willkürlichkeit", die anzudeuten scheint, dass es sich
zumindest in wenigen Ausnahmefällen anders verhält.
422, 17 sein Fortwachsen von Geschlecht zu Geschlecht] Diese Wiederholungsfi-
gur erinnert an eine Formulierung aus der Szene „Studierzimmer II" in Goethes
Faust I, wo Mephistopheles im juristischen Teil seiner satirischen Studienbera-
tung über „Gesetz' und Rechte" sagt: „Sie schleppen von Geschlecht sich zum
Geschlechte" (V. 1972-1974; Goethe 1876, 83). Auch bei N. ist damit ein konser-
vierender Tradierungsprozess gemeint, der hier allerdings das generationen-
übergreifende Sichverfestigen sprachlicher Zeichen betrifft.
422, 19 f. der Schein von Anbeginn wird zuletzt fast immer zum Wesen und
wirkt als Wesen!] Zum ontologischen Schein-Wesen-Dualismus vgl. NK 417, 7-
9. Während in FW 54 der Gegensatz zwischen Schein und Wesen aufgehoben
wird, da es jenseits des Scheins gar kein Wesen gebe, hebt die vorliegende
Stelle auf die im Laufe der Zeit sich „fast immer" einstellende Verwechslung
des Scheins (der sprachlichen Zeichen) mit dem Wesen (der außersprachlichen
Realität) ab. Auch wenn dies zunächst so klingen mag, als setze das sprechen-
de Ich ein objektives Wesen jenseits des sprachlichen Scheins voraus, geht es
letztlich überhaupt nicht um ein solches, sondern lediglich um die Erschaffung
eines neuen Scheins. Vgl. hingegen Doyle 2018, 91, der zufolge FW 58 auf neue
„values" hinauswill, „that more accurately reflect the nature of reality". Dass es
unter den Voraussetzungen des Textes gar nicht möglich ist, „the plain facts",
sondern nur „a counterposition" zu offerieren, merkt jedoch schon Cox 1999,
100 an (siehe auch ebd., 160 f.).
422, 20-24 Was wäre das für ein Narr, der da meinte, es genüge, auf diesen
Ursprung und diese Nebelhülle des Wahnes hinzuweisen, um die als wesenhaft
geltende Welt, die sogenannte „Wirklichkeit", zu vernichten!] Der Narr
ist hier nicht, wie sonst bisweilen bei N., als positiv konnotierte Figur, sondern
im pejorativen Sinn als törichter Mensch zu verstehen (vgl. z. B. NK 374, 12 f.).
Dass die Vernichtung' der fälschlicherweise als wesentlich und wirklich ange-
nommenen Welt des sprachlich erzeugten Scheins (wie sie im vorangehenden
Abschnitt FW 57 gegen die Realisten versucht wurde) nicht durch den bloßen
Hinweis auf diese sprachliche Erzeugtheit erreicht werden könne, leitet zur
Schlusspointe des Abschnitts über, auf die seine Überschrift gemünzt ist.
422, 24-27 Nur als Schaffende können wir vernichten! - Aber vergessen wir
auch diess nicht: es genügt, neue Namen und Schätzungen und Wahrscheinlich-
 
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