Stellenkommentar FW IV Untertitel/Motto, KSA 3, S. 521 1051
auf; in beiden Fällen handelt es sich denn auch um vorantreibende trochäische
Vierheber, wenngleich in unterschiedlichen Strophenformen: Aktualisiert N.
mit dem Schlussgedicht der Neuausgabe von FW eine altdeutsche sechszeilige
Schweifreimstrophe, so bedient er sich im achtzeiligen Mottogedicht zu FW IV
einer verdoppelten Romanzenstrophe mit Kreuzreimschema und alternieren-
den akatalektisch/katalektischen Versschlüssen bzw. weiblich/männlichen Ka-
denzen, die im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts und im ersten Drittel des
19. Jahrhunderts in der deutschen Lyrik besonders häufig verwendet wurde.
Schiller verfasste seine berühmte Ode An die Freude (1785) in derselben Stro-
phenform. Vgl. Frank 1993, 621-626.
Die beiden Gedichte „Der du mit dem Flammenspeere" und „An den
Mistral" stellt auch die Retraktation in EH FW nebeneinander; beide werden
hier als einzige Einzeltexte aus FW gesondert hervorgehoben. Über das Motto-
gedicht zum Vierten Buch heißt es im Rückblick: „Ein Vers, welcher die Dank-
barkeit für den wunderbarsten Monat Januar ausdrückt, den ich erlebt habe -
das ganze Buch ist sein Geschenk - verräth zur Genüge, aus welcher Tiefe he-
raus hier die ,Wissenschaft' fröhlich geworden ist" (KSA 6, 333, 6-10). Nach-
dem daraufhin der gesamte Achtzeiler zitiert wird, schreibt N. weiter: „Was hier
,höchste Hoffnung' heisst, wer kann darüber im Zweifel sein, der als Schluss
des vierten Buchs die diamantene Schönheit der ersten Worte des Zarathustra
aufglänzen sieht?" (Ebd.; vgl. hierzu Stegmaier 2012b, 27 f.) Auf das Werk
Za bzw. die Zarathustra-Figur hatte N. die ersten vier Verse des Mottogedichts
zu FW IV bereits im Brief an Köselitz vom 6. April 1883 bezogen: „ich bin [...]
zuguterletzt noch der Vater Zarathustra's geworden! Diese Vaterschaft war
seine Hoffnung; ich denke, Sie empfinden jetzt den Sinn des Verses an den
Sanctus Januarius ,der du mit dem Flammenspeere meiner Seele Eis zertheilt,
daß sie brausend nun zum Meere ihrer höchsten Hoffnung eilt'"
(KSB 6/KGB III 1, Nr. 401, S. 358, Z. 11-16).
N.s Mottogedicht zum Vierten Buch hat viel Beachtung gefunden und wur-
de in der frühen Phase der Rezeption gerne als Dokument von N.s psychomen-
taler Verfassung gedeutet, was freilich zu unterschiedlichen Einschätzungen
führte. Während es etwa der Psychiater Paul Julius Möbius in seiner Nietzsche-
Monographie als literarisches Zeugnis für „das krankhafte Wohlgefühl, die Eu-
phorie des Paralytischen" wertet (Möbius 1904, 100 f.; vgl. ähnlich auch Deesz
1933, 21), führt C. G. Jung es in seinen Psychologischen Typen ohne jede Patho-
logisierung als „jene[n] wundervollen Vers" an, in dem sich einfach „bestimm-
te psychologische Zustände" artikulieren, „wo das Lebensgefühl und die Le-
bensenergie freier und glücklicher strömen" (Jung 1921, 299). Als Ausdruck der
„Dankbarkeit" für den schaffensberauschten Januar 1882, der ein „Vorläufer"
der ,Zarathustra-Inspiration' gewesen sei, wertet Römer 1921, 47 das Gedicht.
auf; in beiden Fällen handelt es sich denn auch um vorantreibende trochäische
Vierheber, wenngleich in unterschiedlichen Strophenformen: Aktualisiert N.
mit dem Schlussgedicht der Neuausgabe von FW eine altdeutsche sechszeilige
Schweifreimstrophe, so bedient er sich im achtzeiligen Mottogedicht zu FW IV
einer verdoppelten Romanzenstrophe mit Kreuzreimschema und alternieren-
den akatalektisch/katalektischen Versschlüssen bzw. weiblich/männlichen Ka-
denzen, die im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts und im ersten Drittel des
19. Jahrhunderts in der deutschen Lyrik besonders häufig verwendet wurde.
Schiller verfasste seine berühmte Ode An die Freude (1785) in derselben Stro-
phenform. Vgl. Frank 1993, 621-626.
Die beiden Gedichte „Der du mit dem Flammenspeere" und „An den
Mistral" stellt auch die Retraktation in EH FW nebeneinander; beide werden
hier als einzige Einzeltexte aus FW gesondert hervorgehoben. Über das Motto-
gedicht zum Vierten Buch heißt es im Rückblick: „Ein Vers, welcher die Dank-
barkeit für den wunderbarsten Monat Januar ausdrückt, den ich erlebt habe -
das ganze Buch ist sein Geschenk - verräth zur Genüge, aus welcher Tiefe he-
raus hier die ,Wissenschaft' fröhlich geworden ist" (KSA 6, 333, 6-10). Nach-
dem daraufhin der gesamte Achtzeiler zitiert wird, schreibt N. weiter: „Was hier
,höchste Hoffnung' heisst, wer kann darüber im Zweifel sein, der als Schluss
des vierten Buchs die diamantene Schönheit der ersten Worte des Zarathustra
aufglänzen sieht?" (Ebd.; vgl. hierzu Stegmaier 2012b, 27 f.) Auf das Werk
Za bzw. die Zarathustra-Figur hatte N. die ersten vier Verse des Mottogedichts
zu FW IV bereits im Brief an Köselitz vom 6. April 1883 bezogen: „ich bin [...]
zuguterletzt noch der Vater Zarathustra's geworden! Diese Vaterschaft war
seine Hoffnung; ich denke, Sie empfinden jetzt den Sinn des Verses an den
Sanctus Januarius ,der du mit dem Flammenspeere meiner Seele Eis zertheilt,
daß sie brausend nun zum Meere ihrer höchsten Hoffnung eilt'"
(KSB 6/KGB III 1, Nr. 401, S. 358, Z. 11-16).
N.s Mottogedicht zum Vierten Buch hat viel Beachtung gefunden und wur-
de in der frühen Phase der Rezeption gerne als Dokument von N.s psychomen-
taler Verfassung gedeutet, was freilich zu unterschiedlichen Einschätzungen
führte. Während es etwa der Psychiater Paul Julius Möbius in seiner Nietzsche-
Monographie als literarisches Zeugnis für „das krankhafte Wohlgefühl, die Eu-
phorie des Paralytischen" wertet (Möbius 1904, 100 f.; vgl. ähnlich auch Deesz
1933, 21), führt C. G. Jung es in seinen Psychologischen Typen ohne jede Patho-
logisierung als „jene[n] wundervollen Vers" an, in dem sich einfach „bestimm-
te psychologische Zustände" artikulieren, „wo das Lebensgefühl und die Le-
bensenergie freier und glücklicher strömen" (Jung 1921, 299). Als Ausdruck der
„Dankbarkeit" für den schaffensberauschten Januar 1882, der ein „Vorläufer"
der ,Zarathustra-Inspiration' gewesen sei, wertet Römer 1921, 47 das Gedicht.