12 Jenseits von Gut und Böse
von JGB ist die Rezension von Josef Viktor Widmann (s. u. ÜK JGB, Abschnitt 6)
die einzige Antwort, die seinem Selbstbild einigermaßen entsprach oder in die-
ses integriert werden konnte, weil sie die zerstörerische, landläufige Sicherhei-
ten zersetzende, immoralistische Seite seines Werkes hervorgehoben hatte.
Entsprechend zitierte er sie und ihre Dynamit-Leitmetapher in seinen Briefen
wiederholt, beispielsweise am 20. 09.1886 gegenüber Köselitz: „Der ,Bund‘
hat, aus der Feder des Redakteurs V. Widmann, einen starken Aufsatz über
mein Buch, unter dem Titel N.’s gefährliches Buch. Gesammt-Urtheil ,das ist
Dynamit“4 (KSB 7/KGB III/3, Nr. 751, S. 251, Z. 9-12). JGB erscheint fortan in N.s
Retrospektive als eine Bombe oder als die Folge einer Detonation, deren Split-
ter große Verheerungen anrichten können. Das ist indes etwas gänzlich ande-
res als ein „Glossarium“ oder ein „Commentar“ zum vorgeblich so erhabenen
„Zarathustra-Evangelium“.
N. betrieb die Selbstinterpretation als permanente Selbstzurschaustellung,
die auch vor dem Mittel der Selbstumwertung nicht zurückschreckte. Einerseits
beklagte er die fast völlige Resonanzlosigkeit seines bisherigen Schaffens, an-
dererseits kultivierte er die Überzeugung, mit Za ein Werk vorgelegt zu haben,
das dem abendländischen Denken eine völlig neue Richtung geben sollte. Das
Nicht-gehört-Werden stand in denkbar größtem Gegensatz zu N.s maximalem
Wirkungswillen, dem Willen, möglichst von jedem gehört zu werden. N. emp-
fand bitter, mit seinen bisherigen Schriften, wie er in seinem schon zitierten
Brief an Overbeck Anfang Dezember 1885 schrieb, „vollständig vergraben
und unausgrabbar in diesem Antisemiten-Loch“ von Schmeitzners Verlag
zu schmachten (KSB 7/KGB III/3, Nr. 649, S. 117, Z. 48-50). Der offenkundige
Mangel an Durchschlagskraft und Wirksamkeit ist die einschneidende Erfah-
rung, von der N.s Briefe im Vor- und Umfeld von JGB immer wieder zeugen.
Sie kontrastiert mit N.s entschiedenem Wirkungswillen, der sich bis zum Pro-
jekt der „Umwerthung aller Werthe“ 1888 ins Unüberbietbare steigert. 1885/
86 sollten zwei Maßnahmen Abhilfe schaffen: die Neuausgabe seiner früheren
Schriften in einem anderen Verlag sowie die Publikation jenes Werkes, das
schließlich den Titel „Jenseits von Gut und Böse“ erhielt.
Die Resonanzlosigkeit spornte N. an, sein gesamtes Denken immer wieder
neu und anders darzustellen, um es so aus dem ,Vergraben-Sein‘ ans Licht zu
fördern. Ab JGB lautet das Programm deshalb: „Von da an sind alle meine
Schriften Angelhaken: vielleicht verstehe ich mich so gut als Jemand auf An-
geln?...“ (EH JGB 1, KSA 6, 350, 12-14) Dass diese späte Selbsteinschätzung
keine bloße Rückprojektion darstellt, macht schon N.s Brief an Overbeck vom
06.11.1884 deutlich, in dem die früheren Werke diesem Anforderungsprofil
unterworfen werden (KSB 6/KGB III/l, Nr. 553, S. 554, Z. 9f., vgl. N. an seine
Schwester kurz vor dem 15. 08.1885, KSB 7/KGB III/3, Nr. 622, S. 82, Z. 68-70).
von JGB ist die Rezension von Josef Viktor Widmann (s. u. ÜK JGB, Abschnitt 6)
die einzige Antwort, die seinem Selbstbild einigermaßen entsprach oder in die-
ses integriert werden konnte, weil sie die zerstörerische, landläufige Sicherhei-
ten zersetzende, immoralistische Seite seines Werkes hervorgehoben hatte.
Entsprechend zitierte er sie und ihre Dynamit-Leitmetapher in seinen Briefen
wiederholt, beispielsweise am 20. 09.1886 gegenüber Köselitz: „Der ,Bund‘
hat, aus der Feder des Redakteurs V. Widmann, einen starken Aufsatz über
mein Buch, unter dem Titel N.’s gefährliches Buch. Gesammt-Urtheil ,das ist
Dynamit“4 (KSB 7/KGB III/3, Nr. 751, S. 251, Z. 9-12). JGB erscheint fortan in N.s
Retrospektive als eine Bombe oder als die Folge einer Detonation, deren Split-
ter große Verheerungen anrichten können. Das ist indes etwas gänzlich ande-
res als ein „Glossarium“ oder ein „Commentar“ zum vorgeblich so erhabenen
„Zarathustra-Evangelium“.
N. betrieb die Selbstinterpretation als permanente Selbstzurschaustellung,
die auch vor dem Mittel der Selbstumwertung nicht zurückschreckte. Einerseits
beklagte er die fast völlige Resonanzlosigkeit seines bisherigen Schaffens, an-
dererseits kultivierte er die Überzeugung, mit Za ein Werk vorgelegt zu haben,
das dem abendländischen Denken eine völlig neue Richtung geben sollte. Das
Nicht-gehört-Werden stand in denkbar größtem Gegensatz zu N.s maximalem
Wirkungswillen, dem Willen, möglichst von jedem gehört zu werden. N. emp-
fand bitter, mit seinen bisherigen Schriften, wie er in seinem schon zitierten
Brief an Overbeck Anfang Dezember 1885 schrieb, „vollständig vergraben
und unausgrabbar in diesem Antisemiten-Loch“ von Schmeitzners Verlag
zu schmachten (KSB 7/KGB III/3, Nr. 649, S. 117, Z. 48-50). Der offenkundige
Mangel an Durchschlagskraft und Wirksamkeit ist die einschneidende Erfah-
rung, von der N.s Briefe im Vor- und Umfeld von JGB immer wieder zeugen.
Sie kontrastiert mit N.s entschiedenem Wirkungswillen, der sich bis zum Pro-
jekt der „Umwerthung aller Werthe“ 1888 ins Unüberbietbare steigert. 1885/
86 sollten zwei Maßnahmen Abhilfe schaffen: die Neuausgabe seiner früheren
Schriften in einem anderen Verlag sowie die Publikation jenes Werkes, das
schließlich den Titel „Jenseits von Gut und Böse“ erhielt.
Die Resonanzlosigkeit spornte N. an, sein gesamtes Denken immer wieder
neu und anders darzustellen, um es so aus dem ,Vergraben-Sein‘ ans Licht zu
fördern. Ab JGB lautet das Programm deshalb: „Von da an sind alle meine
Schriften Angelhaken: vielleicht verstehe ich mich so gut als Jemand auf An-
geln?...“ (EH JGB 1, KSA 6, 350, 12-14) Dass diese späte Selbsteinschätzung
keine bloße Rückprojektion darstellt, macht schon N.s Brief an Overbeck vom
06.11.1884 deutlich, in dem die früheren Werke diesem Anforderungsprofil
unterworfen werden (KSB 6/KGB III/l, Nr. 553, S. 554, Z. 9f., vgl. N. an seine
Schwester kurz vor dem 15. 08.1885, KSB 7/KGB III/3, Nr. 622, S. 82, Z. 68-70).