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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0148
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128 Jenseits von Gut und Böse

te: „Nachdem sie [sc. die Naturphilosophie] namentlich auf Deutschem Boden
im Anfang dieses Jahrhunderts am meisten entwürdigt und der prostituirten
Philosophasterei eines Schelling und ähnlicher, im Priesterthum des Absoluten
kramender und das Publikum mystificirender Gesellen anheimgefallen war,
hat schliesslich die Ermüdung im Unsinn, unter gleichzeitiger Einwirkung der
ausländischen, von der Deutschen Mystik nur wenig berührten fachwissen-
schaftlichen und positiven Auffassungsweise, dahin geführt, dass man, abge-
sehen von den eigentlichen Philosophirern der Schulstätten, in der Verachtung
jener Missgestalten zu einer sonst seltenen Uebereinstimmung gelangt ist.“
(Dühring 1875a, 56, vgl. 149 u. 462) Dühring ist virtuos bei der Applikation des
Vorwurfes: „Es ist daher auch nicht angebracht, die Priester zweiter Classe
etwa, wie geschehen ist, mit den antiken Sophisten auf eine Linie zu stellen.
Die erste Sophistengeneration hatte hervorragende Talente aufzuweisen [...].
Niemals würde es aber die Athenische oder eine andere ähnliche Bildungselite
geduldet haben, dass es den Leuten, die sich als Sophisten producirten, an
Verstand und Gewandtheit gemangelt hätte. [...] Auf dem offenen Markte konn-
te zwar die Frivolität, aber nicht die Simpelhaftigkeit gedeihen. In /472/ unserer
heutigen Zeit dagegen bedarf es für das Philosophastern von Berufswegen je-
ner Anstrengungen auch nicht im Entferntesten; denn das Zunftmonopol und
die völlige Abpferchung von dem weiteren und freieren Publicum haben dafür
gesorgt, dass an Stelle der schwierigeren Sophistik schon die blosse Intrigue
genügend sei, die Priester zweiter Classe und deren Sinecuren bei einander
und für einander zu erhalten und in der herkömmlichen Weise fortzupflan-
zen.“ (Dühring 1875a, 471 f., vgl. auch Erdmann 1878, 2, 802) Dühring richtete
seinen Vorwurf der Philosophasterei also genau an jene idealistischen Philoso-
phen, die nach Kant gemäß JGB 11 nach neuen „Vermögen“ gesucht haben und
bei N. selbst höhnisch traktiert werden.
24,1-3 Man soll darin, wie mich dünkt, diesen skeptischen Anti-Wirklichen und
Erkenntniss-Mikroskopikern von heute Recht geben] Im Druckmanuskript folgte
darauf die von N. dann gestrichene Apposition: „alle diese Kant und Schelling,
Hegel und Schopenhauer und was aus ihnen nachgewachsen ist“ (KSA 14,
349). JGB 10 vermeidet es tunlichst, die verschiedenen Philosophengruppen
direkt namhaft zu machen, so dass die Streichung nur konsequent ist, wenn
man das Publikum zu eigenständiger Entschlüsselungsarbeit motivieren will.
Wenn sogleich von den „rückläufigen Schleichwege[n]“ (KSA 5, 24, 5) dieser
„skeptischen Anti-Wirklichen“ die Rede ist, sollte sich der Leser daran erin-
nern, dass in JGB 5, KSA 5, 19, 15 Kants „dialektische[.] Schleichwege“ bemüht
wurden, so dass ihm hier die Identifizierung von Kant und seinen Nachfolgern
(bis hin zu Liebmann und Teichmüller) nicht allzu schwer fallen dürfte.
 
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