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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0171
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Stellenkommentar JGB 12, KSA 5, S. 26-27 151

Existenz beseelter Atome, absolut einfacher Wesen, zu erfordern“ scheine, um
dann aber nicht den Akzent auf dieses Postulat der Psychologie zu legen, son-
dern darauf, dass jeder Mensch „aus Millionen kleiner Wesen“ bestehe,
„deren Zusammenwirken die bedeutendsten Physiologen mit der Thätigkeit
der Arbeiter in einer grossen Fabrik oder der Bewohner einer grossen Stadt
verglichen haben. Dabei entsprechen den Strassen und Canälen die Blutgefäs-
se, welche die Nahrungsmittel den verschiedenen Theilen zuführen, während
die Nerven, Telegraphendrähten vergleichbar, die Eindrücke und Impulse der
Theile dem Centrum, diejenigen des Centrums den Theilen zuleiten. Keine bio-
logische Thatsache steht fester als die Zusammensetzung des Individuums.“
(Espinas 1879, 202) Espinas’ Interesse zielte nicht auf ein Seelen-Atom, sondern
vielmehr auf das Zusammengesetztsein aller Individuen. Statt von Seelen-
Atom spricht er vom „biologischen Atom“: „Das Lebenselement, über welches
hinaus das Gebiet der Biologie endet und das der Chemie beginnt, ist also in
der That ein biologisches Atom.“ (Ebd., 209) Zur Seelen-Atomistik siehe auch
Born 2012a, 201.
27, 9-18 Es ist, unter uns gesagt, ganz und gar nicht nöthig, „die Seele“ selbst
dabei los zu werden und auf eine der ältesten und ehrwürdigsten Hypothesen
Verzicht zu leisten: wie es dem Ungeschick der Naturalisten zu begegnen pflegt,
welche, kaum dass sie an „die Seele“ rühren, sie auch verlieren. Aber der Weg
zu neuen Fassungen und Verfeinerungen der Seelen-Hypothese steht offen: und
Begriffe wie „sterbliche Seele“ und „Seele als Subjekts-Vielheit“ und „Seele als
Gesellschaftsbau der Triebe und Affekte“ wollen fürderhin in der Wissenschaft
Bürgerrecht haben.] Die Metapher des „Gesellschaftsbaus“ nimmt JGB 19 wie-
der auf, siehe NK 33, 26 f. u. NK 33, 32-33, 4. Um das Thema innerer Pluralität
statt atomarer Einheitlichkeit des Menschen kreisen einige Aufzeichnungen
von 1884 und 1885, beispielsweise NL 1884, KSA 11, 27[8], 276 f.: „Der Mensch
als Vielheit: die Physiologie giebt nur die Andeutung eines wunderbaren Ver-
kehrs zwischen dieser Vielheit und Unter- und Einordnung der Theile zu einem
Ganzen. Aber es wäre falsch, aus einem Staate nothwendig auf einen absoluten
Monarchen zu schließen (die Einheit des Subjekts)“. Die politische Metapher
für das Verständnis der Seele - die bereits bis mindestens zu Platons Politeia
zurückreicht - wird wiederholt aufgegriffen und, amalgamiert mit der Meta-
pher des Kampfes, in die zeitgenössischen physiologisch-anthropologischen
Debatten implementiert: „Die Annahme des Einen Subjekts ist vielleicht
nicht nothwendig; vielleicht ist es ebensogut erlaubt, eine Vielheit von Subjek-
ten anzunehmen, deren Zusammen-Spiel und Kampf unserem Denken und
überhaupt unserem Bewußtsein zu Grunde liegt? Eine Art Aristokratie von
,Zellen4, in denen die Herrschaft ruht? Gewiß von pares, welche mit einander
an’s Regieren gewöhnt sind und zu befehlen verstehen? / Meine Hypothe-
 
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