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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0182
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162 Jenseits von Gut und Böse

Maschinisten und Brückenbauern der Zukunft, die lauter grobe Arbeit abzu-
thun haben, gerade der rechte Imperativ sein mag.] Es ist deutlich, dass - entge-
gen der Interpretation von Clark/Dudrick 2012, 99 - der Sprechende sich kei-
neswegs mit diesem „ arbeitsame [n] Geschlecht“ zu identifizieren und dessen
„grobe Arbeit“ zu übernehmen trachtet, sondern sie einfach distanziert als
etwas Epochentypisches ansieht.
Ein „Princip der ,kleinstmöglichen Kraft“4 war in der Naturwissenschaft
schon lange Thema, und zwar sowohl in der Physik als auch in der Biologie.
So erläuterte Adolph Mayer in seiner Geschichte des Princips der kleinsten Acti-
on die Theorie von Pierre Louis Moreau de Maupertuis (1698-1759) wie folgt:
„Wenn in der Natur irgend eine Veränderung vor sich geht, so
ist die zu dieser Veränderung nöthige Menge von Action die
kleinstmögliche“, wobei mit Leibniz „Action“ „hier nicht im Sinne von
Wirkung genommen ist, sondern vielmehr Thätigkeit bedeuten soll“
(Mayer 1877,12). Bedenkt man den expliziten Seitenhieb gegen die Darwinisten
(vgl. NK 28, 27), dürfte N. vor allem die Anwendung des „Princips“ in der Evo-
lutionstheorie vor Augen haben. In Johann Carl Friedrich Zöllners Über die
Natur der Cometen konnte N. einen Vergleich einschlägiger Schopenhauer-
Textstellen mit solchen aus Alfred Rüssel Wallaces Beiträgen zur Theorie der
natürlichen Zuchtwahl wie folgt zitiert finden: „Alle Kraft ist wahrscheinlich Wil-
lenskraft“ Wallace argumentiere, „Alles, was in der materiellen Welt existirt“,
seien „Kraft oder Kräfte“ (Zöllner 1872, 359 nach Wallace 1870, 421), und kom-
me nach einer Erörterung des Kraftbegriffs zur Einsicht: „Wie zart eine Maschi-
ne auch construirt werden kann, mit den vortrefflichst ausgedachten Vorrich-
tungen, um ein Gewicht oder eine Feder durch die Anwendung des kleinstmög-
lichen Betrages an Kraft auszulösen, so muss doch Etwas äussere Kraft stets
angewandt werden; ebenso: wie gering auch in der thierischen Maschine die
Veränderungen sein mögen, welche in den Zellen oder Fasern des Gehirnes
erforderlich sind, um die Nervenströme in Bewegung zu setzen, welche die
aufgespeicherten Kräfte gewisser Muskeln auslösen oder erregen, so muss
doch immer, um diese Veränderung zu bewirken, irgend eine Kraft ange-
wandt werden“ (Zöllner 1872, 360 nach Wallace 1870, 422). Die Breitseite gegen
die Naturwissenschaft in JGB 14 lebt von dem Wortspiel, die „kleinstmögliche
Kraft“ mit „grösstmöglicher Dummheit“ zu assoziieren; das Thema von Klug-
heit und Dummheit spielt dann auch eine wichtige Rolle für die Abgrenzung
von der landläufigen, angeblich geistvergessenen Evolutionstheorie in GD, vgl.
NK 6/1, S. 450-453.
Der in Anführungszeichen gesetzte Satz 28, 30 f., der dem Menschen nur
Erkenntnisfähigkeit im Bereich des Sichtbaren und Handgreiflichen zubilligt,
ist zwar kein Zitat, drückt aber die erkenntnistheoretische Zurückhaltung aus,
 
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