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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0197
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Stellenkommentar JGB 17, KSA 5, S. 30-31 177

(1884), Widemann (1885) und Caspari (1881) in Frage, die in unterschiedlicher
Form an einem starken Ich-Begriff festhalten wollten (vgl. dazu auch die ein-
zelnen Quellennachweise zu JGB 16). Widemann 1885, 5 schreibt beispielswei-
se: „Mag auch Mancherlei am empirischen Subject durch das Erkennen be-
dingt sein: das Subject selbst kann davon nie betroffen werden, weil es
die erste und hauptsächlichste Bedingung des Selbstbewusstseins ist. Dieses
ist Prädicat; das Ich ist Subject dieses Prädicats, Träger und Grundlage des
Selbstbewußtseins“ (siehe Loukidelis 2006c). Widemann lieferte also jene For-
mulierung, von der es in 31, 3 heißt, sie sei eine „Fälschung“.
Paul Heinrich Widemann seinerseits hat sich in seinem Brief vom
18. 08.1886 an Köselitz äußerst negativ über die „erkenntnißtheoretischen
Aphorismen“ von JGB vernehmen lassen (siehe NK 26, 17-22) und dort zu JGB
17 ausgeführt: „Die Leugnung des Subjects: Ein Gedanke komme, wenn er
will, nicht wenn ich will. ,Darum1 sei es falsch das Subject als Bedingung
des Denkens zu fassen. Ein Gedanke kommt allerdings nicht, wenn ich will,
aber ebensowenig wenn er will, noch aus irgend einem Willen oder Wollen,
sondern aus einem Müssen. Der Schluß ,Darum1 etc, ist ein schlechter
Spaaß, denn er geht ganz und gar nicht aus den Vorigen hervor, hängt gar
nicht mit demselben zusammen; Bedingung sein und Veranlassen ist sehr
zweierlei. Das Dasein des Raumes z. B. ist Bedingung dieses Dreiecks; aber der
Raum hat das Dreieck nicht gezeichnet. Also brauchte auch das Subject den
Gedanken nicht hervorzubringen und würde doch eine der Bedingungen
desselben sein können. (17) Ist es auch“ (KGB III 7/2, Nr. 37, S. 500).
Die „kleine kurze Thatsache“, die JGB 17 gegen den „Aberglauben der Logi-
ker“ ins Feld führt, gründet nicht zwingend auf eigener Beobachtung, sondern
ist selbst bereits ein philosophischer Topos, der sich etwa im 4. Buch von Jean-
Jacques Rousseaus Confessions findet („Je ne prevoyais pas que j’aurais des
idees; elles viennent quand il leur plait, non quand il me plait.“ In der unter
N.s Büchern erhaltenen deutschen Übersetzung lautet die Stelle: „Ich sah es
nicht voraus, daß ich Ideen haben würde; sie kommen, wann es ihnen gefällt,
nicht wann es mir gefällt.“ Rousseau 1870, 1/2, 117). N. dürfte vor allem die
Fassung im 2. Band von Schopenhauers Parerga und Paralipomena (Kapitel 1,
§ 38) geläufig gewesen sein: „Gedanken aber kommen nicht, wann wir, son-
dern wann sie wollen.“ (Schopenhauer 1873-1874, 6, 54. Nachweis in KSA 14,
350).
31, 5-12 Es denkt: aber dass dies „es“ gerade jenes alte berühmte „Ich“ sei, ist,
milde geredet, nur eine Annahme, eine Behauptung, vor Allem keine „unmittelba-
re Gewissheit“. Zuletzt ist schon mit diesem „es denkt“ zu viel gethan: schon dies
„es“ enthält eine Auslegung des Vorgangs und gehört nicht zum Vorgänge
selbst. Man schliesst hier nach der grammatischen Gewohnheit „Denken ist eine
 
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