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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0264
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244 Jenseits von Gut und Böse

in AC 57 unmittelbar die Bestimmung aus JGB 29 aufgegriffen und noch poten-
ziert wird: „Die geistigsten Menschen, als die Stärksten, finden ihr Glück,
worin Andre ihren Untergang finden würden: im Labyrinth“ (KSA 6, 243, 8-
10). Das Szenario in JGB 29 wirkt düster, ist doch der Labyrinthgänger hier nicht
nur „verirrt“ und „vereinsamt“, sondern offensichtlich in der Dunkelheit noch
mit Blindheit geschlagen. Für die Wendung „stückweise von irgend einem Höh-
len-Minotaurus des Gewissens zerrissen“ sind immerhin zwei Lesarten möglich:
entweder „stückweise“ im Sinne von „Stück für Stück“, also am Ende doch gänz-
lich - oder aber im Sinne von nur „stückweise“, also nicht ganz und gar. Der Mi-
notauros selbst wird durch die Genetiv-Erweiterung mit dem „Gewissen“ identi-
fiziert: Der Labyrinthgänger scheint also noch immer nicht das Joch der alten
Moral abgeschüttelt zu haben. Was er da im Labyrinth sucht und worin genau
sein dortiges Tun besteht, belässt JGB 29 in höhlenhaft er Dunkelheit.
48, 4-6 wie und wo er sich verirrt, vereinsamt und stückweise von irgend einem
Höhlen-Minotaurus des Gewissens zerrissen wird\ Im Druckmanuskript hieß es
zunächst: „und ob es auch Keiner weiß, wie er entgleist, entartet, zersplittert,
zerbricht-“ (KSA 14, 351).
48, 6-9 Gesetzt, ein Solcher geht zu Grunde, so geschieht es so ferne vom Ver-
ständniss der Menschen, dass sie es nicht fühlen und mitfühlen: — und er kann
nicht mehr zurück! er kann auch zum Mitleiden der Menschen nicht mehr zurück!]
Im Druckmanuskript hieß es zunächst: „er selbst sieht es und entbehrt es noch
nicht dabei gesehen zu werden, nicht einmal mehr zum Mitleiden der Men-
schen zurück zu kommen.“ (KSA 14, 351).
30.
Eine frühere Version in W I 5 lautete: „Unsere höchsten Einsichten müssen -
und sollen - wie Verbrechen klingen, wenn sie, unerlaubter Weise, denen zu
Ohren kommen, welche nicht dafür geartet und vorbestimmt sind. Das ,Exote-
rische4 und das »Esoterische4, wie man ehedem unter Philosophen unterschied,
unter Indern, wie unter Griechen und Muselmännern, kurz überall wo man an
eine Rangordnung der Menschen und nicht an die »Gleichheit vor Gott4 glaub-
te -: das unterschied sich nicht nur als ein ,Von-außen-gesehen4 und ein
,Von-innen-gesehen4, sondern vielmehr als ,von-Unten-Hinauf-gesehen4, oder
aber - von Oben herab! Was der höheren Art zur Nahrung dient, oder zur
Labsal, muß einer sehr unterschiedlichen und tieferen Art beinahe Gift sein.
Umgekehrt würden die Tugenden des gemeinen Manns an einem Philosophen
Laster und Flecken bedeuten; und wenn er einmal krank ist und sich selber
dabei abhanden kommt, so merkt er wohl, wie er in seinen krankhaften Werth-
 
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