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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0446
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426 Jenseits von Gut und Böse

In der Abgrenzung von Stolz und Eitelkeit bei N. klingt Schopenhauer nach
(vgl. Brusotti 1997, 81 f.), der sich in seinen Aphorismen zur Lebensweisheit (Ka-
pitel 4) auf die Seite des Stolzes schlug: „So sehr nun auch durchgängig der
Stolz getadelt und verschrien wird; so vermuthe ich doch, daß dies hauptsäch-
lich von Solchen ausgegangen ist, die nichts haben, darauf sie stolz seyn könn-
ten.“ (Schopenhauer 1873-1874, 380). Den „Unterschied“ zwischen beiden Be-
griffen sieht Schopenhauer darin, „daß der Stolz die bereits feststehende
Ueberzeugung vom eigenen überwiegenden /380/ Werthe, in irgendeiner Hin-
sicht, ist; Eitelkeit hingegen der Wunsch, in Andern eine solche Ueberzeu-
gung zu erwecken, meistens begleitet von der stillen Hoffnung, sie, in Folge
davon, auch selbst zu der seinigen machen zu können. Demnach ist Stolz die
von innen ausgehende, folglich direkte Hochschätzung seiner selbst; hinge-
gen Eitelkeit das Streben, solche von außen her, also indirekt zu erlangen.
Dem entsprechend macht die Eitelkeit gesprächig, der Stolz schweigsam. [...] -
Stolz ist nicht wer will, sondern höchstens kann wer will Stolz affektiren, wird
aber aus dieser, wie aus jeder angenommenen Rolle bald herausfallen. Denn
nur die feste, innere, unerschütterliche Ueberzeugung von überwiegenden Vor-
zügen und besonderem Werthe macht wirklich stolz. [...] Weil also der Stolz
seine Wurzel in der Ueberzeugung hat, steht er, wie alle Erkenntnis, nicht
in unserer Willkür. Sein schlimmster Feind, ich meyne sein größtes Hinderniß,
ist die Eitelkeit, als welche um den Beifall Anderer buhlt, um die eigene hohe
Meinung von sich erst darauf zu gründen, in welcher bereits ganz fest zu seyn
die Voraussetzung des Stolzes ist.“ (Schopenhauer 1873-1874, 379 f.) Nach die-
sen Überlegungen träfe also eine Verletzung des Stolzes die Persönlichkeit ins
Mark, so dass sie gezwungen wäre, einen neuen Grund zu finden. Dies scheint
in Za II Von der Menschen-Klugheit intendiert zu sein. „Stolz“ weckt dort wie
in JGB 111 die Assoziation von Vornehmheit. Ist hingegen die Eitelkeit verletzt,
wird demzufolge der Eitle danach streben, das Bild, das andere Menschen von
ihm haben, zu verändern, indem er sich selbst anpasst, also ein prototypisch
unvornehmes Verhalten an den Tag legt. JGB 111 suggeriert hingegen, dass
„wir“ nicht entweder eitel oder stolz seien, sondern beides zugleich. Aber auch
hier verblassen die Eitelkeit und ihre allfällige Verletzung vor der markerschüt-
ternden Verletzung des Stolzes.
Auch der von N. hochgeschätzte Ralph Waldo Emerson schlug in seinem
Conduct of Life für den Stolz und gegen die Eitelkeit eine Bresche: „So habe
ich bemerkt, daß, nächst der Demuth, der Stolz der beste Geselle ist. Einen
guten Stolz halte ich fünf bis fünfzehnhundert Thaler jährlich werth. Stolz ist
schön und sparsam, und indem er nur sich selbst anerkennt und bestehen
läßt, entwurzelt er so viele andere Laster, daß es als großer Gewinn erscheinen
möchte, Stolz für Eitelkeit einzutauschen. Stolz kann ohne Bedienten, auch
 
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