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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0447
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Stellenkommentar JGB 113, KSA 5, S. 93 427

ohne schöne Kleider ausgehen [...]. Eitelkeit dagegen kostet Geld, Arbeit, Pfer-
de, Männer, Frauen, Gesundheit und Zufriedenheit“ (Emerson 1862, 80). Auch
hier ist wie in JGB 111 die prinzipielle Differenz der beiden angeblichen Laster,
die man sonst einander anzugleichen pflegt, herausgearbeitet. Emerson assozi-
iert den Stolz mit völliger Autarkie und spricht nicht von seiner Verletzbarkeit.
Ist in JGB 111 das stolze Individuum selbst für die Verletzung seines Stolzes
verantwortlich? Zur Eitelkeit bei La Rochefoucauld und Ree siehe NK 103, 8 f.

112.
93, 5-7 Wer sich zum Schauen und nicht zum Glauben vorherbestimmt fühlt,
dem sind alle Gläubigen zu lärmend und zudringlich: er erwehrt sich ihrer.] NL
1882, KSA 10, 3[1]394, 101, 9-11 formuliert es persönlicher und in Anführungs-
zeichen: ,„Ich bin zum Schauen und nicht zum Glauben vorherbestimmt, alle
Gläubigen sind mir etwas Fremdes und Lärmendes.“4 (Nach KGW VII 4/1, 100
lautete der Abschnitt 394 im Manuskript zunächst: „Der M(ensch} ist das Thier
mit rothen Backen: er hat sich allzu oft zu schämen gehabt.“ Vor KSA 10, 101,
9 steht im Manuskript noch: „,Der Affekt des Gläubigen ist mir fremd“). Das
Schauen auf Kosten des Glaubens zu privilegieren, ist die Umkehrung eines
Paulus-Wortes in 2. Korinther 5, 7 für das, was den Christen gezieme: „Denn
wir wandeln im Glauben, und nicht im Schauen.“ (Die Bibel: Neues Testament
1818, 217, vgl. auch Kaempfert 1971, 246). Dass das Schauen die angemessene
Form der Weltaneignung sei, legt auch das Lied des Türmers Lynkeus in Goe-
thes Faust II (V. 11288-11291) nahe: „Zum Sehen geboren, / Zum Schauen be-
stellt, / Dem Turme geschworen, / Gefällt mir die Welt.“ Der Gläubige hingegen
findet an der Welt keinen Gefallen, sondern verachtet sie zusammen mit irdi-
scher Neugierde (vgl. NK 66, 9-12) zugunsten einer Jenseitswelt.

113.
93, 9f. „Du willst ihn für dich einnehmen? So stelle dich vor ihm verlegen —“]
NL 1882, KSA 10, 3[1]382,100, 4 (nach KGW VII4/1, 99 von N. durchgestrichen)
steht im Zusammenhang verschiedener Überlegungen zu Liebe und Gegenlie-
be: „Du willst ihn bezaubern? So stelle dich vor ihm verlegen.“ Verlegenheit
bezaubert - also soll nach diesem Rezept die junge Frau die Verlegenheit mög-
lichst vortäuschen, wenn sie nicht ohnehin darin befangen ist. Dass die weibli-
che Scham womöglich darauf abziele, am Ende überwunden zu werden, war
eine unter Männern des abendländischen Kulturkreises seit der Antike herr-
schende Meinung (vgl. Ovid: Ars amatoria I 665 f.: „Pugnabit primo fortassis,
 
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