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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0472
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452 Jenseits von Gut und Böse

Meta von Salis-Marschlins zitiert JGB 140 im Zusammenhang mit N.s nega-
tiven Urteilen über Frauen als hermeneutische Maxime, die eigenen frauen-
emanzipatorischen Überzeugungen immer wieder zu überprüfen: „Ein Mann
von Nietzsche’s Gesichtsweite und Gefühlssicherheit hatte das Recht, in einem
Punkte fehlzugreifen. [...] Muß doch seine Ablehnung unserer höchsten Forde-
rungen auf Grund fehlender Prämissen unser Nachdenken anregen und zu wie-
derholter Prüfung auffordern! Gilt doch von jedem Verhältnis: ,Soll das Band
nicht reißen, mußt du erst drauf beißen“4 (Salis-Marschlins 1897, 20 = Salis-
Marschlins 2000, 31 f.).
141.
97, 21 f. Der Unterleib ist der Grund dafür, dass der Mensch sich nicht so leicht
für einen Gott hält.] Vgl. NL 1883, KSA 10,12[1]116, 393, 8f.: „Der Mensch würde
sich für einen Gott halten, wenn er keinen Unterleib hätte.“ Der Unterleib hat
in der abendländischen Religions- und Metaphysikgeschichte einen schlechten
Ruf; Platon beispielsweise optierte für eine Dreiteilung der Seele und lokalisier-
te die Vernunft im Kopf, den Mut in der Brust und das Begehren (to
EmOuppTiKOv) im Unterleib (Platon: Timaios 69d 6-70a 7). In Christoph Martin
Wielands Geschichte der Abderiten (1. Theil, Buch 1, Kapitel 10) ironisiert De-
mokrit die Vorstellung eines Landes, „wo ewiger Friede herrscht, und wo alle
Menschen in gleichem Grade frei und glücklich sind“ (Wieland 1818-1828, 19,
93): Es wäre dies „ein Land, wo die Leute keinen Magen und keinen
Unterleib haben“ (ebd.). Im Unterschied zu den heidnischen Fruchtbar-
keitsgottheiten wie Dionysos oder - der bei N. ebenfalls vorkommenden - Bau-
bo (vgl. Kaufmann 2016) sind der Gott der Metaphysik und der Gott des Chris-
tentums sowohl von der mit dem Unterleib assoziierten geschlechtlichen, als
auch von der gleichfalls dort beheimateten kulinarischen Begierde frei. Dage-
gen opponierend, sollte N. in jenem Werk, das seine Selbstvergöttlichung be-
treibt, nämlich in Ecce homo, für die Lektüre seiner Bücher „einen fröhlichen
Unterleib“ empfehlen (EH Warum ich so gute Bücher schreibe 3, KSA 6, 303,
1). Auch hier schiebt sich die Verdauung vor die Sexualität, denn diesem „fröh-
lichen Unterleib“ steht die „Dyspepsie“ (KSA 6, 302, 32) gegenüber, die das
Lesen dieser Schriften verunmögliche. JGB 141 hat sich Thomas Mann 1894/95
in einem Notizbuch exzerpiert (Mann 1991, 37, vgl. Schmidt 1997, 31).
142.
98, 2 f. Das züchtigste Wort, das ich gehört habe: „Dans le veritable amour c’est
l’äme, qui enveloppe le corps “] Französisch: „In der echten Liebe kleidet die
Seele den Körper ein.“ Den Satz hat N. sich bereits in NL 1884, KSA 11, 25[7],
 
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