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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0573
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Stellenkommentar JGB 203, KSA 5, S. 125-126 553

mit einer rumsichtigen erfinderischen u umfänglichen'' Denkweise, wie sie Nie-
mand vielleicht bisher gehabt hat. Das Bild solcher Führer ist es, was beständig
vor mir schwebt: die Mittel, wie sie zu schaffen sind, die Gedanken, vermögen
deren sie es aushalten, das furchtbare Gewicht einer solchen Aufgabe ru. Ver-
antwortlichkeit'' zu tragen, - das sind meine inneren Beschäftigungen. rseit
20 Jahren.'' - Es giebt vielleicht keinen rwenig so'' empfindlicheren [ej
Schmerz [en,J als-''wie denerie, es isf einen außer ordentl. M. aus seiner Bahn
gerathen u. entarten zu sehen: wer aber einmal rein Auge"1 [auf] die ungeheuer-
liche Zufälligkeit ''hat'', wie-sie ''welche'' bisher rin Hinsicht auf die vielen ver-
borgenen Möglichkeiten des Menschen'' im Großen u. Ganzen rder Menschheit,
im Gewirr"1 der Völker-Schicksale, Völker=Beziehungen u. Abtrennungen ge-
waltet hat ralso im Schicksal des Menschen"1, sich der vor die Seele gestellt
hat, ''der'' leidet an einem Leiden, mit dem sich Nichts vergleichen läßt: das
begeisternde Glück, rdenn er faßt mit Einem Blicke,'' was rAlles'', bei einer sol-
chen '"günstigen"' Ansammlung ru Steigerung"1 von Kräften ru Aufgaben"1 u Ener-
gien raus dem Menschen Alles'1 zu machen '"züchten"' wäre r- ein Mehr-als-
Mensch nämlich und an was für erbärmlichen Dingen rgewöhnlich bisher
irgend ein"1 etwas Werdendes größten '"höchsten"' Ranges plötzlich zerbricht,
rabbricht, absinkt, erbärmlich wird.-1-/ Die Entartung des Menschen, hin-
ab rbis’1 zu dem, was heute den socialistischen Schwärmern als ihr Mensch der
Zukunft vorschwebt als ihr Ideal! -/ - diese Entartung ru Verkleinerung rdes
Menschen"1 zum vollkommenen Heerden-Thier"1 ist möglich. Wer diese Möglich-
keit einmal bis zu Ende gedacht hat, kennt einen Ekel mehr als alle übrigen
mehr Menschen: - Heil ihm, wenn er Herr seines Ekels Herr bleibt!“
JGB 203 bleibt zunächst im Bekenntnismodus von JGB 202: Wiederum
spricht ein „Wir“ und zwar mit der Stimme derjenigen, die „eines andren Glau-
bens sind“ (126, 5). Diese geben sich unter dem Eindruck eines allgemeinen
kulturellen Verfalls, den sie in der „demokratische^] Bewegung“ (126, 6) ding-
fest machen, hilfsbedürftig - mit der Evokation der zweiten christlichen Kardi-
naltugend neben dem Glauben nach 1. Korinther 13,13, nämlich der Hoffnung:
„wohin müssen wir mit unsren Hoffnungen greifen?“ (126, 9 f.) Die dritte und
bekanntlich größte der christlichen Kardinaltugenden, die Liebe, bleibt im Be-
kenntnis des „Wir“ allerdings ausgespart. Nicht Sanftmut und Friedfertigkeit
prägen das „Wir“, sondern - analog zu den denunzierten revolutionären Be-
dürfnissen der Herde! - ein unstillbarer Durst nach Veränderung, die jetzt als
„Umwerthung der Werthe“ (126, 32) firmiert und dem Überhandnehmen des
Herdeninstinkts unter einem „neuen Druck“ (126, 32), mit einer neuen Härte
begegnen will, in der Absicht, einen neuen Typus Mensch zu inaugurieren.
Gegenstand der „Hoffnungen“ sind ,,neue[.] Philosophen“ (126, 10), die
neue Wertungsweisen herbeiführen, um „grosse Wagnisse und Gesammt-
 
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