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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0609
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Stellenkommentar JGB 210, KSA 5, S. 142 589

Goethes Lebzeiten in aller Munde: Pestalozzi 2012 verweist auf Karl Friedrich
Graf von Reinhards Brief an Goethe vom 24.11.1808: „Von Ihnen soll der Kaiser
gesagt haben: Voilä un homme! Ich glaub’ es; denn er ist fähig dieß zu fühlen
und zu sagen.“ (Goethe/Reinhard 1850, 43) Goethe antwortete ihm am
2.12.1808: „Also ist das wunderbare Wort des Kaisers womit er mich empfan-
gen hat, auch bis zu Ihnen gedrungen! Sie sehen daraus daß ich ein recht
ausgemachter Heide bin; indem das Ecce homo in umgekehrtem Sinn auf mich
angewendet worden. Uebrigens habe ich alle Ursache mit dieser Naivetät des
Herrn der Welt zufrieden zu seyn.“ (Ebd., 44) Zwar besaß N. den Briefwechsel
zwischen Goethe und Reinhard in den Jahren 1807 bis 1832 nicht, jedoch liegt die
Vermutung nahe, dass N. dieses Selbstbekenntnis Goethes nicht nur gekannt,
sondern sich davon auch zur Titelgebung seiner Autogenealogie Ecce homo hat
anregen lassen. In N.s spätem Goethe-Bild kommt der Begegnung mit Napole-
on eine Schlüsselstellung zu, vgl. z. B. NK KSA 6, 106, 17-21 (Ausführungen
hier nach NK KSA 6, 255, 1). Ob Goethe bei alledem indes als einer der starken
Skeptiker zu bezeichnen ist, um die es in JGB 209 ja eigentlich geht, stellt eine
vorbereitende Notiz im Nachlass 1885 in Frage: „Goethe hatte gute deutsche
Augenblicke, wo er über das Alles innewendig lachte. Aber dann fiel er selber
wieder in die feuchten Stimmungen zurück“ (NL 1885, KSA 11, 34[97], 453, 4-
7, entspricht KGW IX 1, N VII 1, 129, 34-40).
210.
Eine erste Fassung dieses Abschnitts in KGW IX 4, W I 6, 5, 6-44 u. 7, 2-16
lautete: „Uns selber nur als eine neue Schaar von Kritikern und Analytikern zu
bezeichnen, welche sich des Experiments im weitesten Sinne bedienen - das
wäre vielleicht eine erlaubte Tartüfferie zu der uns Manches überreden könnte.
Wir schätzen als Eine der Vorbedingungen solcher Wesen wie wir sind, die
rden Besitz von-1 Eigenschaften, welche für sich allein ''vielleicht'' starke Kritiker
machen: den ''gewitzten'' beherzten Muth, das Alleinstehen und Sich=Verant-
worten können, die Lust am Neinsagen und Zergliedern, die Sicherheit der
Hand, welche das Messer führt, ,auch wenn dabei das Herz blutet/ Wir haben
mit den Kritikern einen schnell bereiten Ekel gemeinsam: vor allen Schwärme-
rischen, Idealistischen, Feministischen, Hermaphroditischen; und wer uns bis
in unsre geheime Herzenskammer zu verfolgen wüßte, würde schwerlich dort
die Absicht vorfinden, christliche Gefühle mit dem antiken Geschmacke und
vielleicht noch mit dem modernen Parlamentarismus zu »versöhnen4 (und was
dergleichen an Versöhnlichkeit in unserem sehr unsicheren, folglich sehr ver-
söhnlichen Jahrhundert bei sogenannten Philosophen möglich sein soll.) Kriti-
sche Zucht ist wie gesagt ein Ding worauf wir halten, rthut jede Üb Gewöh-
 
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