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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,2): Kommentar zu Nietzsches "Zur Genealogie der Moral" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.70912#0086
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Stellenkommentar GM Vorrede 3, KSA 5, S. 249-250 67

entschiedener Wille seine Zustände begleiten sollte; so war vorauszusehen,
daß er zugleich das vollkommenste und unvollkommenste, das glücklichste
und unglücklichste Geschöpf werden müsse. Es währte nicht lange, so spielte
er auch völlig die Rolle des Lucifer" (ebd., 169).
Zur autogenealogischen Relevanz von 249, 15-21 siehe Görner 2017, 58 f.
249, 17 f. „halb Kinderspiele, halb Gott im Herzen"] Johann Wolfgang von Goe-
the: Faust I, V. 3781 f. Es spricht hier der „Böse Geist" zu Gretchen im Dom.
249, 22-26 Wollte es gerade so mein „A priori" von mir? jenes neue, unmorali-
sche, mindestens immoralistische „A priori" und der aus ihm redende ach! so
anti-Kantische, so räthselhafte „Icategorische Imperativ", dem ich inzwischen im-
mer mehr Gehör und nicht nur Gehör gescheht habe?...] Der Beginn von GM Vor-
rede 3 bezeichnet die „Bedenklichkeit" (249, 6) gegenüber allem, was bisher
als Moral galt, als das, wozu das „Ich" „beinahe das Recht hätte, sie mein ,A
priori' zu nennen" (249, 11 f.). Nach der Begrifflichkeit der neuzeitlichen Philo-
sophie ist a priori eine Erkenntnis, die aller Erfahrung vorausgeht. Gemeinhin
gilt das von analytischen Urteilen, während Kant in seiner Kritilc der reinen
Vernunft fragte, ob auch synthetische Urteile a priori möglich seien - eine Fra-
ge, die Kant nachdrücklich bejahte und auf die insbesondere JGB wiederholt
in destruierender Absicht zu sprechen kommt (vgl. NK KSA 5, 18, 10; NK KSA 5,
24, 13-26 u. NK KSA 5, 147, 23-27). In GM Vorrede 3 wird nicht nur der insbeson-
dere mit Kant assoziierte Begriff des Apriori vom Ich ironisch angeeignet, son-
dern ebenso dessen Kategorischer Imperativ, für den Allgemeinheit, Verallge-
meinerbarkeit charakteristisch ist (vgl. z. B. NK KSA 5, 110, 3-11; NK KSA 5, 227,
10-13; NK KSA 5 ÜK JGB 207 u. NK KSA 5 ÜK JGB 265). Hier hingegen nimmt
das „Ich" einen Kategorischen Imperativ exklusiv für sich selbst als „anti-Kan-
tisch[.]" (249, 24) in Anspruch: Dieser Imperativ soll nicht für alle gelten, son-
dern nur für jenes „Ich", das sich schon ganz früh „in Widerspruch gegen Um-
gebung, Alter, Beispiel, Herkunft" (249, 10 f.) befand.
Als „Immoralist" oder Anhänger eines „Immoralismus" bezeichnet sich
das sprechende „Ich", das hier immerhin ein „immoralistische[s] ,A priori'" im
Blick hat, in GM nirgends; sein Verhältnis zu den „blassen Atheisten, Antichris-
ten, Immoralisten, Nihilisten" (KSA 5, 398, 28 f.) von GM III 24 ist zumindest
klärungsbedürftig. Clark 1994, 17 argumentiert, N. weise „all morality" zurück,
wenn er sich selbst als Immoralisten bezeichne. Demgegenüber fällt auf, dass
GM eine solche Selbstbeschreibung gerade vermeidet.
250, 4-6 Oder umgekehrt, verräth sich in ihnen die Fülle, die Kraft, der Wille
des Lebens, sein Muth, seine Zuversicht, seine Zukunft?] Hussain 2011, 143 hält
als fundamentalstes Rätsel von GM fest „that these apparent values of flouris-
hing, power, or splendor are themselves never critiqued or questioned". Frei-
 
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