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68 Zur Genealogie der Moral

lich blendet Hussain aus, dass ,das Leben' in GM kaum zum Gegenstand em-
phatischer Bejahung wird, sondern vor allem im Modus seiner Verneinung prä-
sent ist.

4.
GM Vorrede 4 macht Paul Rees Ursprung der moralischen Empfindungen als
Auslöser dafür namhaft, dass das sprechende „Ich" seine „Hypothesen" (250,
17) öffentlich zu verlautbaren begonnen habe - im Widerspruch zu Rees Werk.
Entsprechende Stellen in früheren Werken werden einzeln aufgezählt.
250, 17-29 Den ersten Anstoss, von meinen Hypothesen über den Ursprung der
Moral Etwas zu verlautbaren, gab mir ein klares, sauberes und kluges, auch alt-
kluges Büchlein, in welchem mir eine umgekehrte und perverse Art von genealogi-
schen Hypothesen, ihre eigentlich englische Art, zum ersten Male deutlich ent-
gegentrat, und das mich anzog — mit jener Anziehungskraft, die alles Entgegen-
gesetzte, alles Antipodische hat. Der Titel des Büchleins war „der Ursprung der
moralischen Empfindungen"; sein Verfasser Dr. Paul Ree; das Jahr seines Er-
scheinens 1877. Vielleicht habe ich niemals Etwas gelesen, zu dem ich dermaas-
sen, Satz für Satz, Schluss für Schluss, bei mir Nein gesagt hätte wie zu diesem
Buche: doch ganz ohne Verdruss und Ungeduld.] Paul Ree (1849-1901) hat in
Zürich studiert und bei einem Besuch in Basel N. kennengelernt, mit dem er
bald derart freundschaftlich verbunden war, dass er seine anonym erschienene
Erstlingsschrift Psychologische Beobachtungen von 1875 N. mit den Worten wid-
men konnte: „Herrn Professor Friedrich Nietzsche, dem besten Freunde dieser
Schrift, dem Quellwassererzeuger seines fernern Schaffens dankbarst / der Ver-
fasser" (NPB 491. Salanskis 2013 zeigt, wie sehr Ree in seinem Erstling Evoluti-
onstheorie und französische Moralistik amalgamiert, was wiederum N. weiter
inspiriert hat). Im Oktober 1876 reisten N. und Ree gemeinsam nach Sorrent,
um dort zu lesen, zu diskutieren und zu schreiben: Ree verfasste seinen Ur-
sprung der moralischen Empfindungen aus der Gesprächsgemeinschaft mit N.
heraus, vgl. NK 248, 5-15. GM I 4 verschleiert den Umstand, dass Ree N. in
seiner Widmung für den „Vater dieser Schrift" gehalten hat, deren „Mutter" er
selber sei. Während GM Vorrede 4 MA I und den Ursprung der moralischen
Empfindungen als kontradiktorische Werke hinstellt, haben sie nicht nur Zeit-
genossen (vgl. Malwida von Meysenbug an N., Mitte Juni 1878, KGB II 6/2,
Nr. 1083, S. 899 f., Z. 22-35), sondern damals auch Ree und N. selbst als Ge-
schwisterwerke verstanden. Erwin Rohde gab sich brieflich gegenüber N. am
16. 06. 1878 nach der Lektüre von MA I empört: „Kann man denn s o seine Seele
ausziehen und eine andre dafür annehmen? Statt Nietzsche nun plötzlich Ree
 
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