88 Zur Genealogie der Moral
hann Melchior Ludwigs Buch Das Oberengadin in seinem Einfluss auf Gesund-
heit und Leben mit seiner Fülle geographischer, meteorologischer und medizi-
nischer Informationen entlieh. Zu N.s Sils-Erfahrungen siehe Lütkehaus 2014.
Erste Abhandlung: „Gut und Böse", „Gut und Schlecht".
1.
Nur die Einleitung zu GM I 1 thematisiert die „Entstehungsgeschichte der Mo-
ral" (257, 5 f.), während der Hauptteil des Abschnitts mit dem Interesse und der
Arbeitsweise der „englischen Psychologen" (257, 4) beschäftigt ist, die selbst
als besonders interessantes Phänomen beschrieben werden, weil ihr Interesse
auf die „Verkleinerung des Menschen" (257, 23) abzuzielen scheint. Das spre-
chende „Ich" (258, 12-19) äußert den Verdacht, diese „Forscher und Mikrosko-
piker der Seele" seien in Wahrheit keineswegs von einem unparteiischen Wis-
sensdrang beseelt, den Motivationen menschlichen Tuns auf den Grund zu ge-
hen. Die von N. ausgebeutete Quelle ist Harald Höffdings Psychologie in
Umrissen auf Grundlage der Erfahrung von 1887. Dort geht es aber nicht um
den Anspruch der „englischen Psychologen" als Moralgenealogen aufzutreten,
sondern darum, Grundsätzliches über die Funktionsweise der menschlichen
Psyche zu sagen (vgl. NK 257, 9-21). Die historische Perspektivierung ist we-
sentlich die Zutat N.s, der damit den Bogen zu den ab GM I 2 thematisierten,
als naiv und falsch diskreditierten utilitaristischen und altruistischen Moralge-
schichtsversionen schlägt. In GM I 1 und GM I 2 werden also ganz unterschied-
liche Quellenbestände miteinander kombiniert. Das einende Etikett heißt:
„englisch". GM II 1 nimmt die Motive der Vergesslichkeit und der Trägheit aus
GM I 1 wieder auf und bezieht sich ebenfalls wesentlich auf Höffdings Werk.
257, 4 Diese englischen Psychologen] GM Vorrede 4 macht Paul Ree als Reprä-
sentanten einer „englische[n] Art" (250, 21) der Moralbetrachtung namhaft,
vgl. NK 250, 17-29. Wiederholt wurde in der Forschung argumentiert (Thatcher
1989, 588; Leiter 2002, 197 f.; Wolf 2004, 32), N. fasse darunter namentlich jene
britischen Autoren, die Lecky im ersten, „Die Naturgeschichte der Sitten" beti-
telten Kapitel seiner von N. intensiv rezipierten Sittengeschichte Europas be-
handelt, nämlich die Angehörigen der „utilitarischen Schule" sowie der „intui-
tiven Schule". Diskutiert werden insbesondere Bernard Mandeville, Thomas
Hobbes, John Locke, David Hartley, William Paley, Jeremy Bentham und John
Stuart Mill, Alexander Bain und Herbert Spencer sowie Adam Smith, Francis
Hutcheson, Henry More, Thomas Reid, David Hume und Lord Kames, bevor
Lecky seine eigene Version der Moralgeschichte skizziert (Lecky 1879, 1, 1-144;
hann Melchior Ludwigs Buch Das Oberengadin in seinem Einfluss auf Gesund-
heit und Leben mit seiner Fülle geographischer, meteorologischer und medizi-
nischer Informationen entlieh. Zu N.s Sils-Erfahrungen siehe Lütkehaus 2014.
Erste Abhandlung: „Gut und Böse", „Gut und Schlecht".
1.
Nur die Einleitung zu GM I 1 thematisiert die „Entstehungsgeschichte der Mo-
ral" (257, 5 f.), während der Hauptteil des Abschnitts mit dem Interesse und der
Arbeitsweise der „englischen Psychologen" (257, 4) beschäftigt ist, die selbst
als besonders interessantes Phänomen beschrieben werden, weil ihr Interesse
auf die „Verkleinerung des Menschen" (257, 23) abzuzielen scheint. Das spre-
chende „Ich" (258, 12-19) äußert den Verdacht, diese „Forscher und Mikrosko-
piker der Seele" seien in Wahrheit keineswegs von einem unparteiischen Wis-
sensdrang beseelt, den Motivationen menschlichen Tuns auf den Grund zu ge-
hen. Die von N. ausgebeutete Quelle ist Harald Höffdings Psychologie in
Umrissen auf Grundlage der Erfahrung von 1887. Dort geht es aber nicht um
den Anspruch der „englischen Psychologen" als Moralgenealogen aufzutreten,
sondern darum, Grundsätzliches über die Funktionsweise der menschlichen
Psyche zu sagen (vgl. NK 257, 9-21). Die historische Perspektivierung ist we-
sentlich die Zutat N.s, der damit den Bogen zu den ab GM I 2 thematisierten,
als naiv und falsch diskreditierten utilitaristischen und altruistischen Moralge-
schichtsversionen schlägt. In GM I 1 und GM I 2 werden also ganz unterschied-
liche Quellenbestände miteinander kombiniert. Das einende Etikett heißt:
„englisch". GM II 1 nimmt die Motive der Vergesslichkeit und der Trägheit aus
GM I 1 wieder auf und bezieht sich ebenfalls wesentlich auf Höffdings Werk.
257, 4 Diese englischen Psychologen] GM Vorrede 4 macht Paul Ree als Reprä-
sentanten einer „englische[n] Art" (250, 21) der Moralbetrachtung namhaft,
vgl. NK 250, 17-29. Wiederholt wurde in der Forschung argumentiert (Thatcher
1989, 588; Leiter 2002, 197 f.; Wolf 2004, 32), N. fasse darunter namentlich jene
britischen Autoren, die Lecky im ersten, „Die Naturgeschichte der Sitten" beti-
telten Kapitel seiner von N. intensiv rezipierten Sittengeschichte Europas be-
handelt, nämlich die Angehörigen der „utilitarischen Schule" sowie der „intui-
tiven Schule". Diskutiert werden insbesondere Bernard Mandeville, Thomas
Hobbes, John Locke, David Hartley, William Paley, Jeremy Bentham und John
Stuart Mill, Alexander Bain und Herbert Spencer sowie Adam Smith, Francis
Hutcheson, Henry More, Thomas Reid, David Hume und Lord Kames, bevor
Lecky seine eigene Version der Moralgeschichte skizziert (Lecky 1879, 1, 1-144;