Stellenkommentar GM 1 1, KSA 5, S. 257 89
Brobjer 2008a, 33 merkt an, dass die beiden einzigen britischen Philosophen,
die N. aus gründlicher Originallektüre kannte, Mill und Spencer gewesen sind.
Prinz 2016, 181 bringt Hobbes als Ausgangspunkt für N.s Überlegungen ins
Spiel, was Migotti 2016, 214 zu Recht problematisiert). Es fällt bei einer sorgfäl-
tigen Lektüre jedoch auf, dass der Themenkomplex des allgemeinen Nutzens
in GM I 1 gar nicht angesprochen wird, sondern dass erst GM I 2 diesen Faden
aufnimmt, verbunden mit der Frage nach unegoistischen Handlungen. Dort ist
der Bezug zu Ree und den Debatten über Altruismus und Utilitarismus mit
Händen zu greifen. In GM I 1 steht dieselbe Quelle wie in GM II 1 im Vorder-
grund, nämlich die bereits in GM Vorrede herangezogene Psychologie in Umris-
sen auf Grundlage der Erfahrung von Harald Höffding (vgl. z. B. NK 248, 19-26).
Das hat Brobjer 2001 festgestellt, ohne dass dies in der Forschung bislang frei-
lich gebührend berücksichtigt worden wäre. „Englische Psychologie" (Höff-
ding 1887, 56 u. 195) ist bei Höffding eine stehende Wendung für Typen psycho-
logischer Theoriebildung, die das Unbewusste und Mechanische in den Vorder-
grund rücken, vgl. NK 257, 9-21.
257, 9-21 Diese englischen Psychologen — was wollen sie eigentlich? Man findet
sie, sei es nun freiwillig oder unfreiwillig, immer am gleichen Werke, nämlich die
partie honteuse unsrer inneren Welt in den Vordergrund zu drängen und gerade
dort das eigentlich Wirksame, Leitende, für die Entwicklung Entscheidende zu
suchen, wo der intellektuelle Stolz des Menschen es am letzten zu finden
wünschte (zum Beispiel in der vis inertiae der Gewohnheit oder in der Vergess-
lichkeit oder in einer blinden und zufälligen Ideen-Verhäkelung und -Mechanik
oder in irgend etwas Rein-Passivem, Automatischem, Reflexmässigem, Molekula-
rem und Gründlich-Stupidem) — was treibt diese Psychologen eigentlich immer
gerade in diese Richtung?] Hier werden mehrere Passagen aus Höffdings Psy-
chologie in Umrissen verarbeitet (vgl. NK 257, 4). Höffding stellt zunächst he-
raus, es sei „das Verdienst der englischen Schule, die Selbständigkeit der
Psychologie der metaphysischen Spekulation gegenüber aufgestellt zu haben"
(Höffding 1887, 19, mehrere Anstreichungen N.s am Rand). Als Begründer die-
ser Schule gilt ihm Thomas Hobbes (ebd., 56). Den fundamentalen Unterschied
in der psychologischen Betrachtungsweise führt er auf den Stellenwert des Be-
wusstseins zurück: „Die Geschichte der Psychologie zeigt, dass die verschied-
nen /61/ Richtungen verschiednes Gewicht auf die beiden Seiten im Wesen des
Bewusstseins gelegt haben. Die deutsche Schule (Leibniz, Kant, Hegel)
legt überwiegenden Nachdruck auf die Synthese, die Aktivität, die Einheit. Die
englische Schule (und Herbart in Deutschland) hat besonders die passive
oder mechanische Seite, die Mannigfaltigkeit und gegenseitige Wechselwir-
kung hervorgehoben. [...] Die neuere englische Schule scheint mit der deut-
schen in der Erkenntnis zusammenzutreffen, dass die einzelne Empfindung
Brobjer 2008a, 33 merkt an, dass die beiden einzigen britischen Philosophen,
die N. aus gründlicher Originallektüre kannte, Mill und Spencer gewesen sind.
Prinz 2016, 181 bringt Hobbes als Ausgangspunkt für N.s Überlegungen ins
Spiel, was Migotti 2016, 214 zu Recht problematisiert). Es fällt bei einer sorgfäl-
tigen Lektüre jedoch auf, dass der Themenkomplex des allgemeinen Nutzens
in GM I 1 gar nicht angesprochen wird, sondern dass erst GM I 2 diesen Faden
aufnimmt, verbunden mit der Frage nach unegoistischen Handlungen. Dort ist
der Bezug zu Ree und den Debatten über Altruismus und Utilitarismus mit
Händen zu greifen. In GM I 1 steht dieselbe Quelle wie in GM II 1 im Vorder-
grund, nämlich die bereits in GM Vorrede herangezogene Psychologie in Umris-
sen auf Grundlage der Erfahrung von Harald Höffding (vgl. z. B. NK 248, 19-26).
Das hat Brobjer 2001 festgestellt, ohne dass dies in der Forschung bislang frei-
lich gebührend berücksichtigt worden wäre. „Englische Psychologie" (Höff-
ding 1887, 56 u. 195) ist bei Höffding eine stehende Wendung für Typen psycho-
logischer Theoriebildung, die das Unbewusste und Mechanische in den Vorder-
grund rücken, vgl. NK 257, 9-21.
257, 9-21 Diese englischen Psychologen — was wollen sie eigentlich? Man findet
sie, sei es nun freiwillig oder unfreiwillig, immer am gleichen Werke, nämlich die
partie honteuse unsrer inneren Welt in den Vordergrund zu drängen und gerade
dort das eigentlich Wirksame, Leitende, für die Entwicklung Entscheidende zu
suchen, wo der intellektuelle Stolz des Menschen es am letzten zu finden
wünschte (zum Beispiel in der vis inertiae der Gewohnheit oder in der Vergess-
lichkeit oder in einer blinden und zufälligen Ideen-Verhäkelung und -Mechanik
oder in irgend etwas Rein-Passivem, Automatischem, Reflexmässigem, Molekula-
rem und Gründlich-Stupidem) — was treibt diese Psychologen eigentlich immer
gerade in diese Richtung?] Hier werden mehrere Passagen aus Höffdings Psy-
chologie in Umrissen verarbeitet (vgl. NK 257, 4). Höffding stellt zunächst he-
raus, es sei „das Verdienst der englischen Schule, die Selbständigkeit der
Psychologie der metaphysischen Spekulation gegenüber aufgestellt zu haben"
(Höffding 1887, 19, mehrere Anstreichungen N.s am Rand). Als Begründer die-
ser Schule gilt ihm Thomas Hobbes (ebd., 56). Den fundamentalen Unterschied
in der psychologischen Betrachtungsweise führt er auf den Stellenwert des Be-
wusstseins zurück: „Die Geschichte der Psychologie zeigt, dass die verschied-
nen /61/ Richtungen verschiednes Gewicht auf die beiden Seiten im Wesen des
Bewusstseins gelegt haben. Die deutsche Schule (Leibniz, Kant, Hegel)
legt überwiegenden Nachdruck auf die Synthese, die Aktivität, die Einheit. Die
englische Schule (und Herbart in Deutschland) hat besonders die passive
oder mechanische Seite, die Mannigfaltigkeit und gegenseitige Wechselwir-
kung hervorgehoben. [...] Die neuere englische Schule scheint mit der deut-
schen in der Erkenntnis zusammenzutreffen, dass die einzelne Empfindung