Überblickskommentar 9
ben. An die Schwester in Paraguay, deren antisemitische Ansichten N. ebenso
verachtete wie deren Gatten, den Berufsantisemiten Bernhard Förster, schrieb
er warnend am 11. 11. 1887: „eben habe ich meinem Verleger den Auftrag
ertheilt, ein Exemplar meines letzten Buchs an Dich abgehn zu lassen. Eigent-
lich hätte ich Dir's gerne erspart: denn es sind Stellen drin, wie im vorletzten,
die absolut nicht für Deine gegenwärtigen Ohren taugen. Aber ich möchte
schlechterdings verhüten, daß das Buch auf einem andren Wege zu Dir ge-
langte [...]. — Zuletzt erregt das Buch vielleicht ein zu allgemeines Interesse,
als eine Art Kriegserklärung gegen die Moral, als daß fünf, sechs peinlich-
persönliche Dinge dagegen in Betracht kämen. Daß sie gesagt werden
mußten, hat in dem seinen Grund, daß ich der schändlichen Verman-
schung meines Namens und meiner Interessen ein Ende machen will, die
sich in den letzten 10 Jahren gebildet hat." (KSB 8/KGB III 5, Nr. 949, S. 192 f.,
Z. 3-18) Je nach Adressat stellt N. also die Wirkungsabsicht seines Neulings
durchaus verschieden dar.
Mitte November 1887 muss auch N. das Buch physisch in Händen gehalten
haben, obwohl der erste sichere Beleg dafür erst seine Postkarte an Naumann
vom 25. 11. 1887 ist (KSB 8/KGB III 5, Nr. 959, S. 204, Z. 3f.). Auf der hinteren
Umschlagseite der Erstausgabe wurden N.s frühere Werke samt Erscheinungs-
jahren aufgeführt. „Seltsamerweise waren zwei der Titel aus den Unzeitgemäs-
sen Betrachtungen abgeändert worden: Die erste hiess nun David Strauss und
andere Philister und die zweite Wir Historiker: Zur Krankheitsgeschichte der mo-
dernen Seele." (Schaberg 2002, 207) Der erhoffte Publikumserfolg blieb freilich
auch dieses Mal aus: 600 Exemplare wurden von GM gedruckt; am 30. 01. 1888
vermeldete Naumann zwar, dass insgesamt „190 Exemplare verlangt und ver-
sandt worden" seien (KGB III 6, Nr. 516, S. 152, Z. 41), wobei der Verleger gleich
erläuterte, dass dies keineswegs schon feste Verkäufe seien, da die Buchhänd-
ler und die Kunden die Bücher oft zurückschickten. „Die 11 baar und 2 fest
verlangten Exemplare wurden fast ausschließlich in den letzten Tagen expe-
diert." (Ebd., Z. 53 f.)
2 N.s werkspezifische Äußerungen
Wie andere seiner Schriften begleitete N. auch GM nach Erscheinen mit erläu-
ternden und interpretierenden Kommentaren, die dem Werk den Weg zur all-
gemeinen Wahrnehmung ebnen sollten, die gleichwohl zu N.s bewussten Leb-
zeiten ausblieb. Die Kommentierung setzt bereits mit den Begleitbriefen ein,
die die Zusendung des Neulings orchestrierten. So gestand N. Jacob Burckhardt
am 14. 11. 1887, er lege ihm diese „moralhistorische[n] Studien unter dem Titel
ben. An die Schwester in Paraguay, deren antisemitische Ansichten N. ebenso
verachtete wie deren Gatten, den Berufsantisemiten Bernhard Förster, schrieb
er warnend am 11. 11. 1887: „eben habe ich meinem Verleger den Auftrag
ertheilt, ein Exemplar meines letzten Buchs an Dich abgehn zu lassen. Eigent-
lich hätte ich Dir's gerne erspart: denn es sind Stellen drin, wie im vorletzten,
die absolut nicht für Deine gegenwärtigen Ohren taugen. Aber ich möchte
schlechterdings verhüten, daß das Buch auf einem andren Wege zu Dir ge-
langte [...]. — Zuletzt erregt das Buch vielleicht ein zu allgemeines Interesse,
als eine Art Kriegserklärung gegen die Moral, als daß fünf, sechs peinlich-
persönliche Dinge dagegen in Betracht kämen. Daß sie gesagt werden
mußten, hat in dem seinen Grund, daß ich der schändlichen Verman-
schung meines Namens und meiner Interessen ein Ende machen will, die
sich in den letzten 10 Jahren gebildet hat." (KSB 8/KGB III 5, Nr. 949, S. 192 f.,
Z. 3-18) Je nach Adressat stellt N. also die Wirkungsabsicht seines Neulings
durchaus verschieden dar.
Mitte November 1887 muss auch N. das Buch physisch in Händen gehalten
haben, obwohl der erste sichere Beleg dafür erst seine Postkarte an Naumann
vom 25. 11. 1887 ist (KSB 8/KGB III 5, Nr. 959, S. 204, Z. 3f.). Auf der hinteren
Umschlagseite der Erstausgabe wurden N.s frühere Werke samt Erscheinungs-
jahren aufgeführt. „Seltsamerweise waren zwei der Titel aus den Unzeitgemäs-
sen Betrachtungen abgeändert worden: Die erste hiess nun David Strauss und
andere Philister und die zweite Wir Historiker: Zur Krankheitsgeschichte der mo-
dernen Seele." (Schaberg 2002, 207) Der erhoffte Publikumserfolg blieb freilich
auch dieses Mal aus: 600 Exemplare wurden von GM gedruckt; am 30. 01. 1888
vermeldete Naumann zwar, dass insgesamt „190 Exemplare verlangt und ver-
sandt worden" seien (KGB III 6, Nr. 516, S. 152, Z. 41), wobei der Verleger gleich
erläuterte, dass dies keineswegs schon feste Verkäufe seien, da die Buchhänd-
ler und die Kunden die Bücher oft zurückschickten. „Die 11 baar und 2 fest
verlangten Exemplare wurden fast ausschließlich in den letzten Tagen expe-
diert." (Ebd., Z. 53 f.)
2 N.s werkspezifische Äußerungen
Wie andere seiner Schriften begleitete N. auch GM nach Erscheinen mit erläu-
ternden und interpretierenden Kommentaren, die dem Werk den Weg zur all-
gemeinen Wahrnehmung ebnen sollten, die gleichwohl zu N.s bewussten Leb-
zeiten ausblieb. Die Kommentierung setzt bereits mit den Begleitbriefen ein,
die die Zusendung des Neulings orchestrierten. So gestand N. Jacob Burckhardt
am 14. 11. 1887, er lege ihm diese „moralhistorische[n] Studien unter dem Titel