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Stellenkommentar GM Vorrede 4, KSA 5, S. 250 69

werden?" (KGB II 6/2, Nr. 1082, S. 896, Z. 18-20) N. erwiderte Rohde kurz da-
rauf: „Beiläufig: suche nur immer mich in meinem Buche und nicht Freund
Ree. Ich bin stolz darauf, dessen herrliche Eigenschaften und Ziele entdeckt zu
haben, aber auf die Conception meiner ,Philosophia in nuce' hat er nicht
den allergeringsten Einfluss gehabt: diese war fertig und zu einem gu-
ten Theile dem Papier anvertraut als ich im Herbste 1876 seine nähere Bekannt-
schaft machte." (KSB 5/KGB II 5, Nr. 727, S. 333, Z. 25-31) Als dann durch die
Beziehungsverwicklungen von Ree und N. mit Lou von Salome die Freund-
schaft 1882/83 zerbrach (ausführlich zum biobliographischen Kontext Treiber
in Ree 2004, 1-57), sollte auch der intellektuelle Graben möglichst tief erschei-
nen. Als Ree ihm noch sein (dann erst 1885 erscheinendes Werk) widmen woll-
te, hieß es: „Mit Ree habe ich ,abgeschlossen': d. h. ich habe mir die Widmung
seines Hauptwerks — verbeten. — / Ich will mit Niemandem mehr verwech-
selt werden." (N. an Köselitz, 17. 04. 1883, KSB 6/KGB III 1, Nr. 402, S. 360,
Z. 36-38) In EH MA 6 klingt es gegenüber Ree zwar versöhnlicher, dennoch
wird hier die überragende Selbstständigkeit gegenüber Ree und dem „Reealis-
mus" (konkret im Blick auf MA I 37, KSA 2, 59-61) in Anspruch genommen,
vgl. NK KSA 6, 327, 27-328, 25.
Die für Rees Ursprung der moralischen Empfindungen angeblich charakte-
ristische „englische Art" der moralgenealogischen Hypothesenbildung be-
stand wesentlich darin, unter Zuhilfenahme der Evolutionstheorie von Charles
Darwin (vgl. NK 254, 23 f.) die Entstehung unserer Werturteile auf Stammes-
dienlichkeit und -schädlichkeit, auf Altruismus und Egoismus zurückzuführen
(vgl. 251, 15-17): „Wer für sich auf Kosten anderer sorgt, wird schlecht genannt,
getadelt; wer für andere um ihrer selbst willen sorgt, wird gut genannt, gelobt.
Solche gute [sic] Handlungen sind dadurch möglich, dass wir den Trieb für
andere zu sorgen, schon von unsern thierischen Vorfahren geerbt haben. /20/
Die egoistischen Handlungen, welche auf Kosten anderer geschehen, sind ur-
sprünglich ihres Schadens wegen getadelt worden; die unegoistischen Hand-
lungen sind ursprünglich ihres Nutzens wegen gelobt worden. Später sind die
ersteren an und für sich getadelt, die letzteren an und für sich gelobt worden"
(Ree 1877, 19 f. = Ree 2004, 138 f.). Zu den „englischen Psychologen" in GM I 1
vgl. NK 257, 4, zu den „englischen Moralisten" NK KSA 5, 160, 15-21. Dass N.
selbst in seinem Frühwerk (WL) auf „englische" Art genealogisiert habe, möch-
te Queloz (in Vorbereitung) herausstellen. Darin trifft er sich mit Owen 2006,
40, der zeigt, wie N. von M an das Problem der Moralgeschichte erörtert und
sich von der Auffassung entfernt habe, von der noch MA bestimmt sei, wonach
nämlich alle moralischen Motive mehr oder weniger sublimierte Formen des
Selbstinteresses darstellten. Schmidt 2016, 40-43 betont demgegenüber, wie
sehr auch der späte N. noch Rees Moralhistoriographie verbunden geblieben
sei.
 
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