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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,2): Kommentar zu Nietzsches "Zur Genealogie der Moral" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.70912#0187
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168 Zur Genealogie der Moral

Hinrichtung wartend, jede Form von Naturrecht negiert und nur die Kraft des
Löwen sowie elementare Bedürfnisse als natürlich gelten lässt. Bourget kom-
mentiert: „Par-dessous les convenances dont notre cerveau est surcharge, par-
dessous les principes de conduite que l'education incruste dans notre pensee,
par-dessous la prudence hereditaire qui fait de nous des animaux domestiques,
voici reparaitre le carnassier primitif, farouche et solitaire, em-/321/porte par
le struggle for life comme la nature tout entiere. Vous l'avez cru dompte, il
n'etait qu'endormi; vous l'avez cru apprivoise, il n'etait que lie. Le lien se brise,
la bete se reveille, et vous demeurez epouvante que tant de siecles de civilisa-
tion n'aient pas etouffe un seul des germes de la ferocite d'autrefois..." (Bourget
1883, 320 f. „Unter den Schicklichkeitsvorschriften, mit denen unser Gehirn
überladen ist, unter den Lebensgrundsätzen, welche die Erziehung in unsere
Gedanken eingräbt, unter der ererbten Vorsicht, welche uns zu Haustieren
macht, erscheint hier das ursprüngliche, wilde und ein-/277/same, wie die Na-
tur selbst im struggle for life - Kampf ums Dasein - über alle Bedenken hinweg-
getragene Raubtier wieder. Wir glaubten, dass es bezwungen sei; es war nur
gefesselt. Die Fessel zerreißt, das wilde Tier erwacht, und wir sehen mit Schre-
cken, dass so viele Jahrhunderte der Zivilisation nicht einen einzigen Keim
seiner früheren Wildheit ersticken konnte." Bourget 1903, 276 f.)
Zum Begriff der Entladung siehe NK 322, 22-29; zur „Lebensform" der
„blonden Bestie" diesseits rassistischer Zeitdiskurse Giacomelli 2015, bes. 71-
74.
275, 15 skandinavische Wikinger] Einschlägig belesen hatte sich N. in Anders
Magnus Strinnholms Wikingszüge, Staatsverfassung und Sitten der alten Skandi-
navier (1839-1841), vgl. ausführlich NK KSA 5, 210, 6-8.
275, 16-18 Die vornehmen Rassen sind es, welche den Begriff „Barbar" auf all
den Spuren hinterlassen haben, wo sie gegangen sind] Vgl. ausführlich Winkler
2018, bes. 276-282. Der Diskurs über die „Barbaren" reicht bekanntlich bis min-
destens in die griechische Antike zurück, ist vielfach verzweigt und keineswegs
immer nur zur Denunziation des Anderen und Fremden aktuell. Bei N. sind die
Bezüge auf Barbaren häufig - mitunter wie in JGB 257 (vgl. NK KSA 5, 205,
20-206, 10) - sehr pointiert und lassen viel Sympathie für eine urtümliche,
ungefesselte Lebensart erkennen, die mit den Barbaren oft assoziiert wird (vgl.
z. B. NK KSA 5, 69, 10-22 u. NK KSA 5, 158, 1-5). In 275, 31 f. wird die allgemeine
Zuschreibung mit der Evokation der „Gothen" und „Vandalen" historisch kon-
kretisiert: Der ostgermanischen Ethnie der Vandalen haftet seit ihrer Plünde-
rung Roms im Jahr 455 ein zweifelhafter Ruf an, der sich versprichwörtlichte,
als Henri-Baptiste Gregoire in seinem gegen die jakobinischen Exzesse wäh-
rend der Französischen Revolution gerichteten Rapport sur les destructions
 
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