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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,2): Kommentar zu Nietzsches "Zur Genealogie der Moral" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.70912#0205
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186 Zur Genealogie der Moral

hat N. bei der Lektüre von Maximilian Drossbachs Ueber die scheinbaren und
die wirklichen Ursachen des Geschehens in der Welt besonders eingeleuchtet,
jedenfalls, wenn man dem von ihm am Rand notierten, großen „ja!" Glauben
schenken will: „HUME kann den Causalbegriff nicht aus der Erfahrung ablei-
ten, weil er einen falschen Begriff von dieser hat, weil er ganz im empiristi-
schen Sinn die Erscheinungen für die Erfahrungsobjecte hält. Er sagt: Wir neh-
men nur Eindrücke, nur Erscheinungen — nicht die Ursachen wahr, denn diese
sind keine Eindrücke, keine Erscheinungen, wir sehen den Blitz und hören den
Donner, aber weder sehen noch hören wir im Blitz die Ursache des Donners.
Gerade das Umgekehrte ist wahr: wir sehen den Blitz nicht und hören den
Donner nicht, weil sie Eindrücke, Vorstellungen sind, die Ursachen aber neh-
men wir wahr, weil sie das Eindruckgebende sind; sie sind die Gebenden und
wir die Nehmenden, die Empfangenden; die Vorstellung ,Blitz' /76/ ist etwas
Anderes als das, was ich wahrnehme, als das, was die Vorstellung ,Blitz' in mir
veranlasst; sowohl der Blitz und der Donner als die Nachfolge des letzteren
sind Vorstellungen, wir stellen uns nur vor, dass wir den Blitz sehen, den Don-
ner hören, und dass das Folgen des Donners die Wirkung des Blitzes sei. In
Wahrheit empfinden wir gewisse auf unsern Sehnerv, sowie auf unsern Gehör-
nerv einwirkende Kräfte und in Folge dessen bilden wir sowohl die Vorstellun-
gen Blitz und Donner als auch die Vorstellung der Nachfolge des Donners; die
Ursachen, welche uns zu den Vorstellungen Blitz und Donner veranlassen, nö-
thigen uns auch die Vorstellung der Aufeinanderfolge zu bilden" (Drossbach
1884, 75 f., N.s Unterstreichungen, auf S. 75 mehrere Randanstreichungen und
„ja!" am Rand). Während Drossbach also noch auf dem Schema von Wirkung
und Ursache beharrt, aber nicht die Erscheinung auf unser Bewusstsein, son-
dern die physikalischen Kräfte auf unsere Nerven wirken lässt, denkt sich „das
Volk" in GM I 13 einerseits den Blitz als Ursache nicht nur des Donners, son-
dern des Blitzens, der Erscheinung selbst. Jensen 2016, 112 f. sieht darin ein
direktes Echo auf Julius Bahnsen. Zavatta 2009, 288 stellt als weitere mögliche
Inspirationsquelle N.s für das Blitzbeispiel Ludwig Noires Der Ursprung der
Sprache zur Diskussion, wo gefragt wird: „Oder faßte man die Dinge erst als
Subjecte der von ihnen ausgehenden Thätigkeit auf, so daß alsbald zu dem
Blitzen der Blitz, zu dem Leuchten das Licht hinzugedacht wurde?" (Noire 1877,
108). Scandella 2013, 74 f., Fn. 278 macht schließlich auf Fischer 1865, 2, 379
aufmerksam, wo Spinoza vom Blitz spricht, der „nicht anders" konnte, als das
Haus in Brand zu stecken.
279, 32-280, 3 Die Naturforscher machen es nicht besser, wenn sie sagen „die
Kraft bewegt, die Kraft verursacht" und dergleichen, — unsre ganze Wissenschaft
steht noch, trotz aller ihrer Kühle, ihrer Freiheit vom Affekt, unter der Verführung
der Sprache und ist die untergeschobenen Wechselbälge, die „Subjekte" nicht
 
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