Stellenkommentar GM I 13, KSA 5, S. 279 187
losgeworden] Unter der Überschrift „Psychologie des Irrthums" wird die Nei-
gung, Abstracta zu subjektivieren in NL 1883/84, KSA 10, 24[9], 647 f. am Kraft-
beispiel ausführlicher erörtert: „Wenn wir etwas thun, so entsteht ein Kraft-
gefühl, oft schon vor dem Thun, bei der Vorstellung des zu Thuenden (wie
beim Anblick eines Feindes, eines Hemmnisses, dem wir uns gewachsen
glauben): immer begleitend. Wir meinen instinktiv, dies Kraftgefühl sei Ursa-
che der Handlung, es sei ,die Kraft'. Unser Glaube an Kausalität ist der Glaube
an Kraft und deren Wirkung; eine Übertragung unsres Erlebnisses; wobei wir
Kraft und Kraftgefühl identificiren. — Nirgends aber bewegt die Kraft die Dinge,
die empfundene Kraft ,setzt nicht die Muskeln in Bewegung'. ,Wir haben von
einem solchen Prozeß keine Vorstellung, keine Erfahrung.' — ,Wir erfahren
ebensowenig, wie die Kraft als Bewegendes, die Nothwendigkeit einer Be-
wegung.' Die Kraft soll das Zwingende sein! ,Wir erfahren nur, daß eins auf
das andere folgt — weder Zwang erfahren wir, noch Willkür, daß eins auf das
andere folgt.' Die Kausalität wird erst durch die Hineindenkung des Zwangs in
den Folgevorgang geschaffen. Ein gewisses ,Begreifen' entsteht dadurch d. h.
wir haben uns den Vorgang angemenschlicht, ,bekannter' gemacht: das Be-
kannte ist das Gewohnheitsbekannte des mit Kraftgefühl verbundenen
menschlichen Erzwingens." Das Problem ist hier zunächst deutlich an-
ders gelagert: Während der Nachlasstext einen vorschnellen Schluss von emp-
fundenem Kraftgefühl auf wirkende Kraft und auf zwingende Kausalitätsver-
hältnisse abweist, also das personale Subjekt, das „Wir" als Empfindendes
(und Handelndes?) stehen lässt, ist in GM I 13 eben erst der Täter dem Tun
abhanden gekommen (279, 28 f.). Übertragen auf die Kraft würde man eigent-
lich erwarten, dass sie erhalten bliebe aber die Kraft Ausübendenden, Kraftge-
fühl Empfindenden ins Reich der populärsprachlichen Imagination verbannt
würden. Tatsächlich aber scheint in 279, 32-280, 3 ein anderes Argument im
Vordergrund zu stehen, das dem von NL 1883/84, KSA 10, 24[9], 647 f. nahe-
kommt: Dass unser Sprachgebrauch nämlich - jetzt ist im Unterschied zum
Nachlasstext nicht von den eigenen Empfindungen die Rede - dazu tendiert,
begriffliche Extrapolationen wie „Kraft" für real handelnde Wesenheiten zu
halten.
Zu den in NL 1883/84, KSA 10, 24[9], 647 f. in Anführungszeichen gesetzten
Partien weist KGW VII 4/2, 665 in einem Nachtrag Richard Avenarius' Philoso-
phie als Denken der Welt gemäss dem Princip des kleinsten Kraftmasses von
1876 als Quelle nach. N. hatte Avenarius' Band im Erscheinungsjahr an den
Buchhändler retourniert (NPB 716), um ihn später aber umso eifriger zu benut-
zen (vgl. NK 5/1, S. 518 f.). Und genau besehen ist auch das außerhalb der An-
führungszeichen Stehende, namentlich die Schlussfolgerung, auf Avenarius
zurückzuführen: „Wir fragen also: Ist die Kraft — nicht als Bewegungs-Quan-
tum oder Verhältniss, sondern — als Bewegendes in der reinen Erfahrung
losgeworden] Unter der Überschrift „Psychologie des Irrthums" wird die Nei-
gung, Abstracta zu subjektivieren in NL 1883/84, KSA 10, 24[9], 647 f. am Kraft-
beispiel ausführlicher erörtert: „Wenn wir etwas thun, so entsteht ein Kraft-
gefühl, oft schon vor dem Thun, bei der Vorstellung des zu Thuenden (wie
beim Anblick eines Feindes, eines Hemmnisses, dem wir uns gewachsen
glauben): immer begleitend. Wir meinen instinktiv, dies Kraftgefühl sei Ursa-
che der Handlung, es sei ,die Kraft'. Unser Glaube an Kausalität ist der Glaube
an Kraft und deren Wirkung; eine Übertragung unsres Erlebnisses; wobei wir
Kraft und Kraftgefühl identificiren. — Nirgends aber bewegt die Kraft die Dinge,
die empfundene Kraft ,setzt nicht die Muskeln in Bewegung'. ,Wir haben von
einem solchen Prozeß keine Vorstellung, keine Erfahrung.' — ,Wir erfahren
ebensowenig, wie die Kraft als Bewegendes, die Nothwendigkeit einer Be-
wegung.' Die Kraft soll das Zwingende sein! ,Wir erfahren nur, daß eins auf
das andere folgt — weder Zwang erfahren wir, noch Willkür, daß eins auf das
andere folgt.' Die Kausalität wird erst durch die Hineindenkung des Zwangs in
den Folgevorgang geschaffen. Ein gewisses ,Begreifen' entsteht dadurch d. h.
wir haben uns den Vorgang angemenschlicht, ,bekannter' gemacht: das Be-
kannte ist das Gewohnheitsbekannte des mit Kraftgefühl verbundenen
menschlichen Erzwingens." Das Problem ist hier zunächst deutlich an-
ders gelagert: Während der Nachlasstext einen vorschnellen Schluss von emp-
fundenem Kraftgefühl auf wirkende Kraft und auf zwingende Kausalitätsver-
hältnisse abweist, also das personale Subjekt, das „Wir" als Empfindendes
(und Handelndes?) stehen lässt, ist in GM I 13 eben erst der Täter dem Tun
abhanden gekommen (279, 28 f.). Übertragen auf die Kraft würde man eigent-
lich erwarten, dass sie erhalten bliebe aber die Kraft Ausübendenden, Kraftge-
fühl Empfindenden ins Reich der populärsprachlichen Imagination verbannt
würden. Tatsächlich aber scheint in 279, 32-280, 3 ein anderes Argument im
Vordergrund zu stehen, das dem von NL 1883/84, KSA 10, 24[9], 647 f. nahe-
kommt: Dass unser Sprachgebrauch nämlich - jetzt ist im Unterschied zum
Nachlasstext nicht von den eigenen Empfindungen die Rede - dazu tendiert,
begriffliche Extrapolationen wie „Kraft" für real handelnde Wesenheiten zu
halten.
Zu den in NL 1883/84, KSA 10, 24[9], 647 f. in Anführungszeichen gesetzten
Partien weist KGW VII 4/2, 665 in einem Nachtrag Richard Avenarius' Philoso-
phie als Denken der Welt gemäss dem Princip des kleinsten Kraftmasses von
1876 als Quelle nach. N. hatte Avenarius' Band im Erscheinungsjahr an den
Buchhändler retourniert (NPB 716), um ihn später aber umso eifriger zu benut-
zen (vgl. NK 5/1, S. 518 f.). Und genau besehen ist auch das außerhalb der An-
führungszeichen Stehende, namentlich die Schlussfolgerung, auf Avenarius
zurückzuführen: „Wir fragen also: Ist die Kraft — nicht als Bewegungs-Quan-
tum oder Verhältniss, sondern — als Bewegendes in der reinen Erfahrung