204 Zur Genealogie der Moral
Mächtigkeit heraus: und, um das Wesentlichste zu sagen, mit einem neuen
Wachsthum in der Seligkeit der Liebe. Ich glaube, der we<lche>r etwas von
den untersten Bedingungen jedes Wachsthums in der Liebe errathen hat, wird
Dante, als er, über die Pforte seines inferno schrieb: ,auch mich schuf die ewige
Liebe' <, verstehen»". Obwohl auch Lecky 1873, 1, 185-187 Dantes gewaltigen
Einfluss auf die christlich-spätmittelalterlichen Jenseitsvorstellungen heraus-
stellt, und N. diese Passagen eifrig markiert, ist Lecky anders als bei Thomas
von Aquin und Tertullian im Fortgang von GM I 15 wohl nicht die Quelle des
sonderbaren Zitates. Vielmehr dürfte es aus James Anthony Froudes Das Leben
Thomas Carlyles stammen, das N. 1887 gelesen hat und in GD Streifzüge eines
Unzeitgemäßen 12, KSA 6, 119, 10 auch ausdrücklich nennt, allerdings ohne
den Verfassernamen anzugeben (die Quellennachweise im Einzelnen in NK 6/1,
S. 443-446). Bei Froude 1887, 2, 201 heißt es nun: „Oft gedenke ich an Dante's
Überschrift über dem Höllenthor: ,Die ewige Liebe schuf mich'." Dass sich hin-
ter der vermeintlichen Liebe der Christen in Wahrheit Hass verbirgt, hat N. in
Jean-Marie Guyaus L'irreligion de l'avenir vorgeführt bekommen: „Le dernier
degre de l'idee d'expiation, c'est en effet celle de la damnation eternelle. Dans
cette theorie de la peine du dam et de la peine du feu, sans fin possible, on
reconnait l'antique barbarie des supplices infliges ä l'ennemi par le vainqueur,
ou au rebelle par le chef de tribu." (Guyau 1887, 89. Letzter Satz von N. mit
Randstrich und Ausrufezeichen markiert. Vgl. NK 268, 27-269, 1. „Der letzte
Grad der Idee der Buße ist in der Tat der der ewigen Verdammnis. In dieser
Theorie der Strafe der Verdammnis und der Strafe des Feuers, ohne mögliches
Ende, erkennen wir die uralte Barbarei der Folterungen wieder, die der Sieger
dem Feind oder der Stammesführer dem Rebellen auferlegt hat.") Zur Interpre-
tation von 283, 28-284, 3 (ohne Quellenkenntnis) vgl. z. B. Schaap 2002, 278,
zur Rezeption dieser Passage bei William Butler Yeats siehe Heller 1992, 184 f.
283, 30 Ingenuität] N. benutzt das Wort nur hier sowie in PHG 2, KSA 1, 811,
4 f. (Demokrit habe Platon „an Ingenuität noch überragt"). Petris Handbuch
der Fremdwörter, das sich in N.s Bibliothek erhalten hat, übersetzt Ingenuität
als „Aufrichtigkeit, Geradheit und Natürlichkeit im Betragen" (Petri 1861, 410).
284, 4-10 Wir würden es vielleicht schon errathen; aber besser ist es, dass es
uns eine in solchen Dingen nicht zu unterschätzende Autorität ausdrücklich be-
zeugt, Thomas von Aquino, der grosse Lehrer und Heilige. „Beati in regno coeles-
ti", sagt er sanft wie ein Lamm, „videbunt poenas damnatorum, ut beatitudo
illis magis complaceat."] Das entsprechende Zitat - „Die Glückseligen im
Reich des Himmels werden die Strafen der Verdammten sehen, um sich
durch diese ihrer Glückseligkeit noch mehr zu erfreuen" - hat
N. nicht der Originalquelle entnommen, sondern einer Fußnote in Leckys Ge-
Mächtigkeit heraus: und, um das Wesentlichste zu sagen, mit einem neuen
Wachsthum in der Seligkeit der Liebe. Ich glaube, der we<lche>r etwas von
den untersten Bedingungen jedes Wachsthums in der Liebe errathen hat, wird
Dante, als er, über die Pforte seines inferno schrieb: ,auch mich schuf die ewige
Liebe' <, verstehen»". Obwohl auch Lecky 1873, 1, 185-187 Dantes gewaltigen
Einfluss auf die christlich-spätmittelalterlichen Jenseitsvorstellungen heraus-
stellt, und N. diese Passagen eifrig markiert, ist Lecky anders als bei Thomas
von Aquin und Tertullian im Fortgang von GM I 15 wohl nicht die Quelle des
sonderbaren Zitates. Vielmehr dürfte es aus James Anthony Froudes Das Leben
Thomas Carlyles stammen, das N. 1887 gelesen hat und in GD Streifzüge eines
Unzeitgemäßen 12, KSA 6, 119, 10 auch ausdrücklich nennt, allerdings ohne
den Verfassernamen anzugeben (die Quellennachweise im Einzelnen in NK 6/1,
S. 443-446). Bei Froude 1887, 2, 201 heißt es nun: „Oft gedenke ich an Dante's
Überschrift über dem Höllenthor: ,Die ewige Liebe schuf mich'." Dass sich hin-
ter der vermeintlichen Liebe der Christen in Wahrheit Hass verbirgt, hat N. in
Jean-Marie Guyaus L'irreligion de l'avenir vorgeführt bekommen: „Le dernier
degre de l'idee d'expiation, c'est en effet celle de la damnation eternelle. Dans
cette theorie de la peine du dam et de la peine du feu, sans fin possible, on
reconnait l'antique barbarie des supplices infliges ä l'ennemi par le vainqueur,
ou au rebelle par le chef de tribu." (Guyau 1887, 89. Letzter Satz von N. mit
Randstrich und Ausrufezeichen markiert. Vgl. NK 268, 27-269, 1. „Der letzte
Grad der Idee der Buße ist in der Tat der der ewigen Verdammnis. In dieser
Theorie der Strafe der Verdammnis und der Strafe des Feuers, ohne mögliches
Ende, erkennen wir die uralte Barbarei der Folterungen wieder, die der Sieger
dem Feind oder der Stammesführer dem Rebellen auferlegt hat.") Zur Interpre-
tation von 283, 28-284, 3 (ohne Quellenkenntnis) vgl. z. B. Schaap 2002, 278,
zur Rezeption dieser Passage bei William Butler Yeats siehe Heller 1992, 184 f.
283, 30 Ingenuität] N. benutzt das Wort nur hier sowie in PHG 2, KSA 1, 811,
4 f. (Demokrit habe Platon „an Ingenuität noch überragt"). Petris Handbuch
der Fremdwörter, das sich in N.s Bibliothek erhalten hat, übersetzt Ingenuität
als „Aufrichtigkeit, Geradheit und Natürlichkeit im Betragen" (Petri 1861, 410).
284, 4-10 Wir würden es vielleicht schon errathen; aber besser ist es, dass es
uns eine in solchen Dingen nicht zu unterschätzende Autorität ausdrücklich be-
zeugt, Thomas von Aquino, der grosse Lehrer und Heilige. „Beati in regno coeles-
ti", sagt er sanft wie ein Lamm, „videbunt poenas damnatorum, ut beatitudo
illis magis complaceat."] Das entsprechende Zitat - „Die Glückseligen im
Reich des Himmels werden die Strafen der Verdammten sehen, um sich
durch diese ihrer Glückseligkeit noch mehr zu erfreuen" - hat
N. nicht der Originalquelle entnommen, sondern einer Fußnote in Leckys Ge-