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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,2): Kommentar zu Nietzsches "Zur Genealogie der Moral" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.70912#0226
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Stellenkommentar GM I 15, KSA 5, S. 284 207

und sein Stil nahm eine hellere Färbung und eine ungestümere Beredsamkeit
an, wie er auf das geistesverwandte Thema zu sprechen kam — ihnen zu sagen,
dass ihnen ein Schauspiel vorbehalten sei von so bezaubernder und anziehen-
der Art, /253/ dass im Vergleiche damit die freudigsten Feste der Erde zur Un-
bedeutsamkeit erblassten. Jenes Schauspiel wären die Todesschmerzen ihrer
Landsleute, wie sie sich inmitten der Höllenqualen winden. ,Welches', rief er
aus, wird die Grösse dieser Scene sein? Wie werde ich bewundern? Wie werde
ich lachen? Wie werde ich mich freuen? Wie werde ich frohlocken, wenn ich
so viele und berühmte Könige, von denen es hiess, sie seien in den Himmel
aufgestiegen, mit Jupiter, ihrem Gotte, in der tiefsten Finsterniss der Hölle wer-
de jammern sehen! Dann werden die Soldaten, die den Namen Christi verfolgt
haben, in einem grausameren Feuer brennen, als irgend eins war, das sie für
die Heiligen angezündet hatten.... Dann werden die Tragödienspieler in ihrem
eigenen Unglücke traurigere Rufe ausstossen, als die, von denen sie das Thea-
ter haben wiederhallen lassen, während des Komödienspielers Geschicklich-
keit besser hervortreten wird, wenn er durch die Hitze geschmeidiger werden
wird. Dann wird der Renner des Circus hervortreten, ganz geröthet in seinem
Flammenwagen, und die Gladiatoren durchbohrt, nicht von Speeren, sondern
von Feuerspiessen.... Verglichen mit solchen Schauspielen, mit Triumphen wie
diese, was kann ein Prätor oder Consul, ein Quästor oder Pontifex bieten? Und
sogar jetzt kann der Glaube sie uns nahe bringen, die Einbildung kann sie uns
als gegenwärtig malen'. / Ich habe diese sehr peinliche Stelle nicht so sehr
zum Beispiel von den Ausschreitungen einer durch Verfolgung verbissenen,
verbitterten Gemüthsstimmung, als deshalb angeführt, weil sie eine schlagen-
de Beleuchtung von dem Einflüsse einer gewissen Klasse von Glaubensüber-
zeugungen auf die Gemüthsstimmung liefert." (Lecky 1873, 1, 252 f.; Unterstrei-
chung und mehrfache Randstriche von N.s Hand) In einer Fußnote bringt Le-
cky auch noch den lateinischen Text und weist ihn korrekt aus als Kapitel 30
von Tertullians De spectaculis (ebd., 253 f., Fn. 1).
N. hat nun aber nicht einfach diesen Text aus der Fußnote übernommen,
sondern scheint den Fund zeitweilig aus dem Blick verloren zu haben. Jeden-
falls schrieb er an Overbeck am 17. 07. 1887, ihm fehle „dringlich eine Stelle des
Tertullian, in der diese schöne Seele die Freuden voraus schildert, welche er
im Jenseits' geniessen werde beim Anblick der Martern seiner Feinde und Anti-
christlich-Gesinnten: die Martern werden sehr ironisch und bösartig spezialisirt
in Anspielung auf die ehemaligen Berufsarten dieser Feinde. Ist es Dir möglich,
Dich dieser Stelle zu erinnern? und sie mir eventuell zu senden? (originaliter
oder auch übersetzt: ich habe sie deutsch nöthig)" (KSB 8/KGB III 5, Nr. 876,
S. 109 f., Z. 4-12). Overbecks leider nicht erhaltener Antwortbrief scheint eine
Abschrift der Stelle enthalten zu haben. Dazu N. in seinem Brief vom
 
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