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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,2): Kommentar zu Nietzsches "Zur Genealogie der Moral" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.70912#0388
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Stellenkommentar GM II 19, KSA 5, S. 327-328 369

was Einer ist, haben seine Vorfahren die Kosten bezahlt." (Vgl. NL 1887, KSA 12,
9[45], 358, 27 f., dazu KGW IX 8, W II 5, 1, 46-48 = NL 1888, KSA 13, 14[226],
398, 25 f.; der Gedanke, dass die Gegenwärtigen die Errungenschaften der Vor-
fahren akkumulieren, findet sich mit N.s Lesespuren bei Herrmann 1887, 104.)
In N VII 2, 167, 10-14 (KGW IX 3) heißt es: „die Auslegung aller Unglücksfälle
als die / Wirkungen unversöhnter Geister ist das, was bisher die / große[n]
Massen zu religiösen Culten trieb." (Vgl. NL 1885/86, KSA 12, 1[5], 20-22.) Das
ist eine Paraphrase von Lippert 1882, 27: „Dass die Menschheit gerade in dieser
Weise positiv dem Einflüsse unversöhnter Geister alles Unglück auf Erden zu-
schreiben musste, ist durch die Art, wie sie zu ihren Religionsvorstellungen
gelangte, bedingt."
328, 1 „seelenarmen" Zeitalter] Das Wort „seelenarm" ist hier in N.s Werken
und Nachlass ein Hapax legomenon. Bereits in Joachim Heinrich Campes Wör-
terbuch der Deutschen Sprache hat es einen eigenen Eintrag und die Bedeutung
„arm an Seele oder Geist" (Campe 1810, 4, 369). Sieht man sich den Gebrauch
des Wortes unter N.s Zeitgenossen an, fällt auf, dass es oft zur negativen Cha-
rakterisierung der Gegenwart benutzt wird. So stellt beispielsweise Karl Gutz-
kow in Zur Geschichte unserer Zeit fest, dass „unsere Zeit eine gemüthlose,
seelenarme" sei (Gutzkow 1875, 10, 118, Fn.). N.s Wortverwendung ist die ironi-
sche Kontrafaktur dieser Jetztzeitanklagen, liegt doch nach der Analyse von
GM II die eigentlich „seelenarme" Zeit in der menschlichen Frühgeschichte,
wo die Seele sich erst herauszubilden im Begriff war, vgl. NK 322, 22-29.
328, 9 das berüchtigte Erstlingsopfer] Vgl. NK 295, 24-30.
328, 10-15 Die Furcht vor dem Ahnherrn und seiner Macht, das Bewusstsein
von Schulden gegen ihn nimmt nach dieser Art von Logik nothwendig genau in
dem Maasse zu, in dem die Macht des Geschlechts selbst zunimmt, in dem das
Geschlecht selbst immer siegreicher, unabhängiger, geehrter, gefürchteter da-
steht.] Vgl. NK 327, 18-22 f. Spencer 1879, 130 spricht vom siegreichen Häupt-
ling, der Eigenmächtigkeiten seiner Stammesangehörigen streng ahndet: „je
mehr also seine Macht wächst, desto strenger verbietet er solche Übergriffe
und desto härtere Strafen setzt er auf den Ungehorsam. Nicht lange, und die
staatlichen Einschränkungen dieser Classe werden, wie es auch mit denen der
vorhergehenden Classe geschah, durch religiöse Schranken verstärkt. Der klu-
ge Häuptling, der im Kriege Erfolge errang, theilweise weil er auf die erwähnte
Weise die Ordnung unter seinen Untergebenen aufrecht zu erhalten wusste,
hinterlässt nach seinem Tode die Überlieferung der Gebote, die er zu geben
pflegte. Die Furcht vor seinem Geiste ist wohl geeignet, Achtung vor diesen
Geboten zu erzeugen, und so erlangen sie mit der Zeit einen geheiligten Cha-
rakter." Die Stelle klingt an in NL 1880, KSA 9, 3[101], 74 f., vgl. Orsucci 1996,
 
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