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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,2): Kommentar zu Nietzsches "Zur Genealogie der Moral" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.70912#0416
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Stellenkommentar GM III, KSA 5, S. 337-339 397

den „die Weisheit" wolle, passt für das gesamte Werk, das ja gemäß Untertitel
eine Streitschrift sein soll. Die neue Positionierung könnte eher mit dem Er-
fordernis zusammenhängen, GM II und GM III über den Zarathustra-Bezug
miteinander zu verknüpfen. Denn thematisch erscheint der Übergang zu den
asketischen Idealen nach der Erörterung der Schuld- und Gewissensfragen
keineswegs zwingend (Schacht 2013, 338 hält demgegenüber das in GM III
thematisierte „phenomenon of the idealization of life-denying asceticism" für
eine „dangerous flower of the strange plant of ,bad conscience"'. Dies macht
N.s Text freilich nicht explizit). Das Motiv der kriegführenden Geister wird
schon in GM II 24 ausgiebig bemüht, vgl. NK 336, 3-13; dass auch die Wahrheit
„ein Weib" sei, wird in N.s Spätwerk gerne behauptet, vgl. ausführlich NK
KSA 5, 11, 2.
339, 2 Was bedeuten asketische Ideale?] Vgl. NK 339, 9 zur Frage als solcher
und zu den Antworten. Der Ausdruck „asketisches Ideal" begegnet in N.s Wer-
ken vor GM nur in M 192, KSA 3, 166, 2 f., wo es über den „Gründer der Trappis-
tenklöster", Armand Jean Le Bouthillier de Rance (1626-1700) heißt, er habe
„mit dem asketischen Ideale des Christenthums den letzten Ernst gemacht".
Inspiration hierzu hat sich N. in Hans Lassen Martensens Werk Die Christliche
Ethik geholt, das er sich am 27. 03. 1880 von seiner Mutter hatte schicken lassen
(KSB 6/KGB III 1, Nr. 18, S. 13, Z. 9f.), vgl. NK KSA 3, 165, 12 und Orsucci 1996,
175. Zwar ist unmittelbar an der fraglichen Stelle (Martensen 1873, 380) nicht
von „asketischem Ideal" die Rede, aber es hätte sich gelohnt, die Spur ein
wenig weiter zu verfolgen, um eine in der Forschung fälschlich herumgeistern-
de Behauptung zu beseitigen: „Der Ausdruck ,asketisches Ideal' wurde offen-
bar von N. selbst geprägt" (NWB 1, 169 nach Stegmaier 1994, 169). Denn Mar-
tensen spricht nicht nur unentwegt von „Idealen", sondern im Band zur Indivi-
duellen Ethik ausdrücklich auch vom „asketischen Ideal": „Die Askese (das
Leben in gottseligen Uebungen), sofern sie sich als eine selbständige Lebens-
weise geltend macht, setzt die Bestimmung des Erdendaseins nicht in die Ver-
knüpfung des Himmlischen mit dem Irdischen, sondern darein, daß man dem
Irdischen absterbe, welches lediglich bestimmt sei, geopfert, das heißt, ver-
brannt - zu werden. Entsagung, Resignation, gilt als die Bestimmung des Er-
dendaseins. So im Eremiten- und Mönchsleben, besonders des Morgenlandes,
welches von alter Zeit her die Heimath der Askese ist. Denn bei den Mönchen
des Abendlandes, namentlich bei den Benedictinern, erscheint das asketische
Ideal nicht in seiner unbedingten Reinheit, da sie zugleich für Culturzwecke
wirkam waren, so für die Urbarmachung wüster Landstrecken, für Ackerbau
und Gartenpflege, für die Aufbewahrung der classischen Literatur und für die
Unterweisung der Jugend in ihren eigenen Schulen. Dieses ist ein durchaus
von dem asketischen abweichendes Princip; es ist das Humanitätsprincip, wel-
 
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