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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,2): Kommentar zu Nietzsches "Zur Genealogie der Moral" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.70912#0468
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Stellenkommentar GM III 8, KSA 5, S. 354-355 449

für die Wahrheit beweist, um derentwillen jemand zu leiden oder gar zu ster-
ben bereit ist, kehrt in N.s Spätwerk gelegentlich wieder und wird dann in
AC 53 zum bestimmenden Thema, während frühere Stellen die Möglichkeit ei-
nes philosophischen Martyriums um der Geistfreiheit willen durchaus positiv
würdigen (vgl. z. B. M 18, KSA 3, 31 f.). Die Kritik an der - religiösen - Lust am
Martyrium konnte N. in der wissenschaftlichen Literatur seiner Zeit bereits
scharf formuliert finden, vgl. die Nachweise in NK KSA 6, 234, 16-18; NK KSA 6,
234, 19-23 u. NK KSA 6, 235, 9-12. Zugespitzt auf die Philosophen wird dieser
Ansatz in JGB 25. Dort wird der in GM III 8 erneut aufgerufene Widerspruch im
Verständnis dessen, was den Philosophen ausmacht, bereits klar benannt (vgl.
NK KSA 5, 42, 7-18). Geht man vom Martyrium für die Wahrheit als Ideal aus,
so hat man den Philosophen als ein heroisch leidendes Wesen zu denken. Dem
stellen JGB 25 und GM III 8 den aktiven, handelnden Philosophen gegenüber.
355, 6-11 benennt dann den Gegensatz zwischen Leiden und Tun ausdrücklich.
355, 11-13 Sie machen einen sparsamen Verbrauch von grossen Worten; man
sagt, dass ihnen selbst das Wort „Wahrheit" widerstehe: es klinge grossthue-
risch...] In AC 53, wo das Thema des Martyriums breit behandelt wird, ist
gleichfalls die Bescheidenheit der Philosophen in ihrem Wahrheitsanspruch
das Begleitmotiv (KSA 6, 234, 23-30).
355, 17-19 noch unbescheidener drückte man sich im alten Indien unter Philoso-
phen aus „wozu Nachkommenschaft Dem, dessen Seele die Welt ist?"] Das Zitat
stammt aus einer altindischen Quelle, die Paul Deussen in Das System des Ve-
danta nach den Brahma-sütra's des Bädaräyana zitiert: „,Wozu brauchen wir
Nachkommen, wir, deren Seele diese Welt ist!'" (Deussen 1883, 439) In N.s
Handexemplar ist die Seite mit einem Eselsohr markiert. An der fraglichen Stel-
le ist nicht vom Philosophen, sondern vom „Wissenden" die Rede. Während
GM III 8 vom Philosophen verlangt, dass er große Werke schaffe, geben sich
die alten Inder da deutlich entspannter: „Ob der Wissende Werke thun will,
/439/ steht in seinem Belieben" (Deussen 1883, 438 f.).
355, 20-22 so wenig es Keuschheit ist, wenn ein Athlet oder Jockey sich der
Weiber enthält] Dass die athletischen Wettkämpfer sich zeitweilig oder dauernd
des Beischlafes enthalten, ist ein seit der Antike geläufiger Topos. Er wird ger-
ne im Zusammenhang der Frage diskutiert, wie es Philosophen mit dem Ge-
schlechtsverkehr halten sollen: „Da nahm Olympikus das Wort. Mir, sagte er,
gefällt besonders die Aeußerung des Pythagoreers Kleinias, der auf die Frage,
wann man am besten seiner Frau beiwohne, die Antwort gegeben haben soll:
Wenn du gerade zumeist Schaden nehmen willst. Auch was Zopyrus so eben
vorgebracht hat, finde ich gegründet; ich sehe aber, daß jeder Zeitpunkt wieder
andere Unbequemlichkeiten und Schwierigkeiten für dieses Geschäft hat. Wie
 
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