Metadaten

Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0196
Lizenz: In Copyright
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Stellenkommentar WA Zweite Nachschrift, KSA 6, S. 44-46 177

45, 6 f. alljährlich intonirt ganz Europa „auf nach Kreta! auf nach Kreta!"] In
seinem Brief an Köselitz vom 24. 08. 1888 erläutert N.: „,Auf nach Creta!' — ist
ein berühmter Chor der schönen Helena. Ich sage Ihnen das aus Bosheit, nach-
dem Sie mich über die Schlußworte des Parsifal ,unterrichtet' haben." (KSB 8,
Nr. 1095, S. 398, Z. 8-10) Gemeint ist die „opera-bouffe" La Belle Helene von
Jacques Offenbach nach einem Libretto von Henri Meilhac und Ludovic Halevy
(1864). Über den französischen Wortlaut war sich N. nicht im klaren, weshalb
er am 07. 08. 1888 an den Musikwissenschaftler Adolf Ruthardt schrieb: „kön-
nen Sie mir umgehend eine sehr gebildete Auskunft geben? Wie heißen im
Originaltexte der ,schönen Helena' die Worte des Chors, die deutsch ,auf nach
Kreta! auf nach Kreta' lauten? allons pour Crete vielleicht?" (KSB 8, Nr. 1081,
S. 382, Z. 4-7, korrigiert nach KGB III 7/3, 1, S. 367). Ruthardt antwortete nicht,
so dass N. in WA Nachschrift beim deutschen Text blieb. Der von N. erfragte
französische Text — er wird vom Chor am Ende des 1. Aktes gesungen — lautet:
„Va pour la Crete. / Des dieux interprete. / L'oracle decrete. / Va, pars pour la
Crete. / Que rien ne t'arrete. Ni flots, ni tempete. / Va, pars pour la Crete"
(Offenbach 2003, 17).

Zweite Nachschrift
Die Zweite Nachschrift charakterisiert ein Perspektivenwechsel: Schien es bis-
lang, als wäre Wagner persönlich und allein für den Niedergang der Musik
verantwortlich, erscheint er hier nur als der herausragendste Repräsentant
eines allgemeinen Niedergangs. Wagner ist hier weniger Täter oder Schuldiger,
als vielmehr das Opfer einer das ganze Zeitalter umgreifenden Entwicklung.
Die Polemik ad personam macht einer allgemeinen kulturdiagnostischen Refle-
xion Platz, die ein generelles decadence-Verdikt ausspricht.
46, 6-8 Seitdem aber in den Weinbergen des deutschen Geistes ein neues Thier
haust, der Reichswurm, die berühmte Rhinoxera, wird kein Wort von mir mehr
verstanden.] Vgl. NL 1888, KSA 13, 15[26], 421, 26 f. und den Dankesbrief Carl
von Gersdorffs an N. für die Zusendung von WA, 23. 09. 1888 (KGB III 6, Nr. 582,
S. 313): „Woher soll noch ein neues Geschlecht freigeistischer Menschen kom-
men? Ist es in Deutschland möglich? Ich bezweifle es und betraure die Aus-
sichtslosigkeit. Ja, die Rhinoxera! Du hast den Wurm erkannt. Ein jeder wird
von ihm benagt, und Wipfeldürre ist die Folge." Beim „Reichswurm" mag man
auch an den Drachen Fafner denken, der in Wagners Siegfried den Schatz der
Nibelungen hütet. N.s Wortschöpfung „Rhinoxera" spielt zum einen auf das
Rhinozeros an — „Um das Rhinozeros zu sehn, / Beschloß nach Deutschland
ich zu gehn." (N. an Josef Viktor Widmann, 15. 09. 1887, KSB 8, Nr. 912, S. 156,
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften