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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0299
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280 Götzen-Dämmerung

Platons führen vor, wie Sokrates seinen Gesprächspartnern Stück für Stück
alle Gewissheit in den Belangen raubt, wo sie Spezialisten zu sein glauben —,
bereitet die in GD Das Problem des Sokrates 9 formulierte Diagnose einer allge-
meinen decadence in Athen zu Zeiten des Sokrates vor (KSA 6, 71, 13-15: „Die
gleiche Art von Degenerescenz bereitete sich überall im Stillen vor: das alte
Athen gieng zu Ende.") Ansonsten hätte man über seine Dialektik nur gelacht
(vgl. GD Das Problem des Sokrates 5, KSA 6, 70, 5 f.).
8
71, 4-6 Dass er eine neue Art Agon entdeckte, dass er der erste Fechtmeister
davon für die vornehmen Kreise Athen's war, ist das Eine.] Die Dialektik assozi-
iert N. schon früh mit „klirrende[m] Waffenspiel" (ST, KSA 1, 546, 2), vgl. auch
NK 69, 24-70, 3. Das agonale Moment ist für N.s Verständnis des Griechentums
zentral, vgl. CV 5: Homer's Wettkampf, KSA 1, 783-792; vgl. auch Schmidt 1882,
1, 194 f. Zur philosophischen Deutung Müller 2005, 77-85, ferner Acampora
2003.
71, 7 f. er brachte eine Variante in den Ringkampf zwischen jungen Männern
und Jünglingen.] Vgl. Lange 1887, 51, der die Dialektik des Sokrates als „unmit-
telbaren Ringkampf des Wortes" schildert, „wo Mann gegen Mann seine geis-
tige Kraft erprobt". „Wenn wir aber Sokrates keinerlei Unredlichkeit im Disput
zuschreiben können, so ist doch die Verwechslung der Überwindung des Geg-
ners mit der Widerlegung seiner Meinung auch ihm eigen, wie übrigens schon
seinen Vorgängern und der ganzen griechischen Dialektik von ihren ersten
Anfängen an. Das Bild des geistigen Ringkampfes, oder, wie wir es namentlich
bei Aristoteles finden, des Streites zweier Parteien vor Gericht, drängt sich
überall vor" (Lange 1887, 52).
71, 8 f. Sokrates war auch ein großer Erotiker.] Das Thema ist schon in GT
13 präsent und spielt auf die Rolle (und das Reden) des Sokrates in Platons
Symposion (z. B. 227c, 248d, 257a) an: „er ging in den Tod, mit jener Ruhe, mit
der er nach Plato's Schilderung [sc. Symposion 223c-d] als der letzte der Zecher
im frühen Tagesgrauen das Symposion verlässt, um einen neuen Tag zu begin-
nen; indess hinter ihm, auf den Bänken und auf der Erde, die verschlafenen
Tischgenossen zurückbleiben, um von Sokrates, dem wahrhaften Erotiker, zu
träumen." (KSA 1, 91, 24-29) Während N. den (homo)sexuell-päderastischen
Glutkern von Sokrates' Philosophieren durchaus benennt (vgl. auch Platon:
Symposion 177d-e; Lysis 204c und Phaidros 257a), wenn auch nicht breit aus-
führt, bemüht sich die offiziöse Philosophiegeschichtsschreibung um Scha-
 
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