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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0334
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Stellenkommentar GD Moral, KSA 6, S. 81-82 315

überhaupt gelesen werden kann, lässt sich das moralische Argumentieren
gegen Moral auch als Versuch verstehen, die innere Logik von Moral performa-
tiv ad absurdum zu führen: N. würde dann zeigen, dass auch das jeweilige
Gegenteil des gewohnten moralischen Urteils gesagt und gedacht werden
kann — dass man aber zugleich in der sprachlichen Nötigung des (morali-
schen) Urteilens gefangen bleibt. So ließe sich die Hinterabsicht des Kapitels
als metamoralisch beschreiben, nämlich zu demonstrieren, wie Moral funktio-
niert.
82, 1 Widernatur] Nach Grimm 1854-1971, 29, 1127 bedeutet Widernatur „der
natur zuwiderlaufende beschaffenheit", wobei trotz der Seltenheit des Aus-
drucks schon für das frühe 19. Jahrhundert einige Belege genannt sind. Es
handelt sich also nicht (so Large 1998, 92) um einen Neologismus N.s. Er oppo-
niert mit diesem Titel nicht nur gegen die metaphysische und christliche Tradi-
tion, sondern durchaus auch gegen zeitgenössische Tendenzen in Ethik und
Ökonomie. Bei Herrmann 1887, 100 hat er z. B. gelesen: „Wir sind schon jetzt
auf dem Wege, uns vom Zwange, von der Uebermacht der Natur zu befreien;
dann erübriget uns noch jene Ueberreste aus der Vorwelt in der Menschennatur
zu zerstören, welche an das Raubthier und an die Selbstsucht der Lebensnoth
erinnern." (Kursiviertes von N. unterstrichen; doppelte Anstreichung am Blatt-
rand).

1
82, 9 f. „il faut tuer les passions."] Vgl. Faguet 1934, 242: „Quelle etait l'origine
de cet eudemonisme, de cette morale facile assise sur la raison? Onyavu une
reaction contre la philosophie stoicienne et chretienne du siecle precedent. Le
mot d'ordre, au XVIIe siecle, etait celui-ci: il faut tuer les passions; toute la
doctrine, au XVIIIe siecle, se resume dans cette phrase caracteristique de Vau-
venargues: ,II faut rehabiliter la nature humaine que l'on a trop meprisee'."
(„Was war der Ursprung dieses Eudämonismus, dieser leichten Moral basie-
rend auf der Vernunft? Man hat darin eine Reaktion gegen die stoische und
christliche Philosophie des vorhergehenden Jahrhunderts gesehen. Die Losung
des 17. Jahrhunderts war folgende: man muss die Leidenschaften abtöten; die
gesamte Doktrin des 18. Jahrhunderts kann hingegen im charakteristischen
Satz von Vauvenargues zusammengefasst werden: ,Man muss das Wesen des
Menschen, das man zu sehr verachtet hat, rehabilitieren'.") Obwohl N. 1887/
88 Werke von Faguet gelesen hat, ließ sich darin die fragliche, bei N. in 82, 9 f.
singuläre Wendung ebensowenig nachweisen wie in anderen zeitgenössischen
 
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