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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0335
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316 Götzen-Dämmerung

Werken. Faguets Histoire de la Poesie Frangaise de la Renaissance au Roman-
tisme. VII: Voltaire (1934) ist eine postume Veröffentlichung, zu der es allenfalls
vorveröffentlichte Zeitschriftenartikel gegeben haben mag, die N. zu Gesicht
gekommen sein könnten — allerdings hat sich Faguet auch selbst mit N. aus-
einandergesetzt (Faguet 1904).
Die Abtötung der Leidenschaften (zu N.s Zeiten als Wendung bereits geläu-
fig, vgl. Grimm 1854-1971, 1, 140), „integra mortificatio passionum", ist ein
Grundgedanke in Thomas von Kempens De imitatione Christi I, 17 — wobei
dieser Gedanke in der für evangelische Leser verwässerten Übersetzung, die N.
schon früh besaß (vgl. NL 1862, KGW I 2, 13[9], 443, 15), zur „Unterdrückung
der Begierden" emendiert worden ist (Thomas von Kempen 1845, 32). In der
Sache geht die „mortificatio passionum" auf stoische und neuplatonische Vor-
bilder zurück. „Tuer les passions, ce serait tuer la societe" (Balzac 1865, 53.
„Die Leidenschaften zu töten, wäre die Gesellschaft zu töten"), heißt es übri-
gens lapidar in Honore de Balzacs La maison Nucingen aus den Scenes de la
vie Parisienne.
82, 11 f. jener Bergpredigt, wo, anbei gesagt, die Dinge durchaus nicht aus
der Höhe betrachtet werden.) Obwohl N. nirgends eine Gesamtinterpretation
der sogenannten Bergpredigt Jesu (Matthäus 5-7 bzw. Lukas 6, 20-49) vorge-
legt hat, ist die Lehrrede Jesu doch ein häufiger Bezugspunkt seiner Auseinan-
dersetzung mit dem frühen Christentum. Quelle dieser Auseinandersetzung
beim späten N. ist Wellhausen 1883, vgl. NL 1887/88, KSA 13, 11[377], 169 (KGW
IX 7, W II 3, 22, 1-6) u. Sommer 2008b.
82, 14 „wenn dich dein Auge ärgert, so reisse es aus"] Matthäus 5, 29. Das
Herrenwort wird nach Markus 9, 47 zitiert und glossiert in AC 45, KSA 6, 221,
19-23 — eine Stelle, die in NL 1887, KSA 12, 10[200], 579, 6-13 (korrigiert nach
KGW IX 6, W II 2, 4, 34-46) verstanden wird als „eine Aufforderung zur Ca-
stration; wie sich aus der entsprechenden Stelle ergiebt Matth. 5, 28 wer
ein Weib ansiehet, ihrer zu begehren, der hat schon mit ihr
die Ehe gebrochen in seinem Herzen. Ärgert dich aber dein rechtes
Auge, so reiß es aus und wirf es von dir. Es ist dir besser, daß eines deiner
Glieder verderbe und nicht der ganze Leib in die Hölle geworfen werde." MA
II WS 83 stellt Markus 9, 47 ebenfalls in den Kontext christlicher Sinnenfeind-
lichkeit, wobei dort das Wort im Unterschied zu AC 45 noch für echt jesuanisch
gehalten wird. An der dortigen Darstellung lässt sich ermessen, welche Wand-
lung N.s Jesus-Bild bis zum „psychologischen Typus des Erlösers" (AC 29, KSA
6, 199, 16 f.) in AC durchgemacht hat: „Der Stifter des Christenthums war, wie
es sich von selber versteht, als Kenner der menschlichen Seele nicht ohne die
grössten Mängel und Voreingenommenheiten und als Arzt der Seele dem so
 
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